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Steve Hogarth                -   Interview 2012   Ältere Interviews gibt es HIER

Der Marillion-Sänger war offensichtlich nur zu gerne bereit, ein wenig Platz im Kalender freizumachen, als ihn Keyboarder und Komponist Richard Barbieri nach einer Zusammenarbeit fragte. Schließlich gehört der mit seiner Vergangenheit beim Electro/Wave/Sphärik-Kollektiv Japan zu den wichtigsten Einflussfaktoren in der musikalischen Sozialisation von Steve Hogarth. Und nachdem ihr gemeinsamer Bekannter Steve Wilson (Porcupine Tree) sie letztendlich zusammengebracht hatte und sie in den vergangenen Jahren bereits mehrfach gemeinsam gespielt haben, ist ihr jüngst veröffentlichtes gemeinsames Albumdebüt der klare Beleg für die gemeinsamen Vorlieben. Zurück zum Japan-Sound und doch mit Experimenten und Sounds ganz auf der Höhe der Zeit konnte „Not The Weapon But The Hand“ (CD der Woche KW 13/2012) kaum anders klingen. 

 

Ist dies eine 50:50 Kollaboration oder wer war hier federführend?

Die erste Idee kam von Richard, als er mich fragte, ob ich Lust dazu hätte. Ich sagte sofort ja, hatte aber keine Idee, wie ich das zeitlich einbauen sollte, denn wir waren gerade auf Tournee. Aber er sagte, kein Problem, ich schick dir mal was. Und so war es: er hat mir immer mal Musik als mp3 geschickt, instrumentale Ideen, die ich im Auto abgespielt habe und mir meine Gedanken dazu gemacht habe. Er meinte, ich solle machen damit, was ich wollte, aber ehrlich gesagt, konnte ich den wenigsten Songs viel hinzufügen – außer Texten und Gesang. Hier und da hab ich ein bisschen hin und hergeschoben, ein paar Loops etc., aber ansonsten hab ich wirklich nur den Gesangspart übernommen. Und entsprechend hab ich die Gelegenheit genutzt und mit den Vocal-Tracks herumgespielt, experimentiert, manche wurden durch einen Gitarrenverstärker geschickt, habe verschiedene Techniken ausprobiert – es war sehr spannend. Aber um ehrlich zu sein, ich war nie in einem Raum mit Richard!

 

So wird Musik im 21. Jahrhundert gemacht, oder?
Ja, und es hat durchaus seine Facetten. Man ist ungestört! Man hat wirklich nur die Musik und sich selbst, keiner schaut einem über die Schulter bevor man nicht wirklich fertig ist mit der Idee, die man umsetzen will, man kann an seiner Vision arbeiten, bis sie vollbracht ist – und erst dann das fertige Ergebnis präsentieren. Das war sehr positiv und ich hatte wirklich Spaß daran. Entsprechend schnell war ich damit. Manche Sachen hab ich an einem Tag in einem Hotelzimmer aufgenommen, während wir auf Tour waren.

 

Der Teil allerdings war jetzt nicht so anders als Dein erstes Soloalbum, „Ice Cream Genius“ oder?

Das habe ich mehr oder weniger alleine geschrieben – und dann kamen verschiedene Leute und haben ihre Sachen eingespielt, da war es also andersherum. Und so habe ich ja auch Richard kennengelernt, denn er hat ja auf dem Album gespielt. Und danach sind wir auch zusammen auf Tournee gewesen und haben immer wieder zusammen gespielt – also ich glaube, diese Kollaboration war nur eine Frage der Zeit.

 

Vor dem Album hattest Du nie mit ihm gespielt?

Nein, ich hatte Steven Wilson gefragt, ob er jemand wüsste.

 

Immerhin war Japan immer schon ein großer Einfluss für Dich, oder?

Absolut, ja, aber ich habe nie jemanden von ihnen getroffen. Als wir damals mit The Europeans auf Tournee waren, war ihr „Tin drum“ Album eins derer, die wir in unserem Tourbus rauf und runter gespielt haben. Neben Blue Nile.

 

Würdest du zustimmen, dass dieses Album ein bisschen eine Rückkehr zu deinen Wurzeln ist?

Ja, ein bisschen. Es gibt eigentlich hur eine Handvoll Künstler, die ich wirklich leidenschaftlich verehrt habe in all den Jahren eigentlich, und die Band Japan gehört dazu. Ich liebe die 80er! Die meiste meiner Lieblingsmusik kommt aus den 80ern. Und aus den 60ern, als ich wirklich jung war. Thomas Dolby, Prefab Sprout, Blue Nile – das ist die Musik, die mich begleitet hat, seit ich selber Musik gemacht habe – und die ich im Kopf hatte, als ich zu Marillion kam. Was eine Herausforderung für die Band war – jemanden zu nehmen, der seinen Kopf in den 80ern hatte – nachdem mein Vorgänger Fish ja eher in den 70ern zuhause war.

 

Obwohl du mir ja in Oldenburg erzählt hast, dass es Deep Purple in den 70ern waren, die dich zur Musik gebracht haben.

Absolut – Sheffield City Hall, da war ich 17. Das war der Moment, an dem ich wusste, dass ich Musiker werden will, nichts kann besser werden als das. Aber von da bis zu meiner wirklichen musikalischen Sozialisation war noch ein weiter Weg. Deep Purple haben den Schalter umgelegt. Und dazwischen kamen genug Bands wie Genesis, Yes – die hab ich alle live gesehen in den 70ern, meine Progressivrock-Meriten sind tadellos. Aber ich in den 80ern fand ich die Musik, die mich wirklich anfixte.

 

Jedenfalls haben Richard und Du eine sehr ähnliche musikalische Vision.

Ja, da gibt es durchaus Parallelen, aber Richard ist noch mehr in den 70ern verwurzelt – im Glam Rock, T-Rex, David Bowie. Aber es funktioniert, wie man an unserem gemeinsamen Album sieht.

 

Du hast die Texte übernommen – wie wichtig sind die in diesem Kontext für dich?
Genauso wichtig wie in jedem anderen Kontext meiner Arbeit. Meine Texte sind meine Sichtweise auf Dinge – Beobachtungen, Philosophien. Viele der Texte hätten auch auf einem Marillion Album landen können, wenn sich ein passender Song gefunden hätte – viele sind schon in Teilen fertig auf meinem Laptop gewesen. Denn da sammle ich immer Ideen und Texte. Die Arbeit war also teilweise, dass ich von der Musik zu texten inspiriert wurde und teilweise, dass ich mich erinnerte, einen Text zu haben, der hier und da passen könnte.

 

Hab ich die eine Textzeile richtig mitbekommen: „Fuck everybody in Rome“?

Nein, „and run“. Ich hatte nicht vor, etwas gegen den Papst zu singen. Nein, ein Großteil der Texte – um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen – drehen sich um das Thema der zwei großen Emotionen, die uns beschäftigen: Liebe und Angst. Und aus der Angst erwächst Selbstverteidigung und Aggression und Unsicherheit – all diese negativen Aspekte der menschlichen Natur. Und alle positiven Aspekte, wie Respekt z.B. gründen auf Liebe.

 

Du hast schon die Experimente mit der Stimme angesprochen – hast Du bewusst auf ruhigere Stimmlagen und Flüstern zurückgegriffen im Gegensatz zu deinem lauteren Singstil bei Marillion?

Das ergibt sich eher aus der Stimmung der Musik – und den Texten. Der Sänger muss letzten Endes einen Text so umsetzen, dass er passt. Man schreit ja keine Intimitäten aus. Und Techniken wie z.B. Falsett hab ich erst in den letzten Jahren für mich entdeckt. Und für dieses Album speziell hab ich ein paar Sachen entdeckt, die ich so noch nie gemacht habe. In „Only love will set you free“ benutze ich eine für mich sehr ungewöhnliche Stimmfarbe. Tatsächlich meinte Richard sogar, als ich ihm den Song geschickt hatte, dass es überhaupt nicht nach mir klänge. Für mich war dieser Song wie ein Theaterstück, in dem ich fünf verschiedene Stimmen, bzw. Charaktere verkörpere. Das hab ich so noch nie gemacht. Das gab’s zwar schon mal z.B. von David Bowie in „Ashes to Ashes“… aber so oft gibt es das noch nicht.

 

Und letzten Endes wäre eine Live-Umsetzung wahrscheinlich auch eher in einem ruhigeren Setting als das mit Marillion der Fall ist.

Zwangsläufig, ja. Obwohl wir uns momentan noch überhaupt keine Gedanken über eine Live-Umsetzung gemacht haben, weil ich die nächsten 12 Monate, oder sogar noch mehr mit Marillion zu tun haben werde. Also solange da nicht irgendwas gestrichen wird, wird das wohl aus sich warten lassen müssen. Aber, ja, ich denke, dieses Album gibt mir die Möglichkeit, auch live ganz anders aufzutreten. Das Ding ist, um es anständig auf die Bühne zu bringen, bräuchten wir zunächst mal eine ganze Reihe Musiker. Die Musik müsste wahrscheinlich auf Notenblätter gebracht werden, wie eine Symphonie. Und wir bräuchten mindestens fünf verschiedene Sänger. Im Idealfall fünf Holgramme von mir, oder Zwillingsbrüder… mal sehen, ob ich Sänger finde, die klingen wie ich.

 

Ich kann also zwischen den Zeilen hören, dass ihr schwer beschäftigt seid mit Marillion.

Ja, wir sind zu ca. 65% fertig – oder zu 85%, das ist schwer zu sagen. Die Songs sind zum großen Teil im Grobgerüst fertig, die Texte sind größtenteils fertig, aber es ist schwer abzuschätzen, was ihnen noch fehlt. Sie sind mehr oder weniger im Jammen entstanden, und es kann sein, dass wir mehr oder weniger alles haben, was wir brauchen, aber wir sind noch nicht dazu gekommen, wirklich zu kucken, was wir haben. Es kann auch sein, dass wir sogar einen Großteil der Aufnahmen schon so verwenden können wie es ist. Unser Produzent und Engineer, Mike ist gerade im Studio und hört sich durch… er wird uns sagen, wo wir stehen.

 

Habt Ihr euch eine Deadline gesetzt?
Wir hatten schon mehrere, aber wir haben sie alle verpasst. Im Juni wollen wir nach Amerika auf Tournee, bis dahin hoffen wir die Sachen fertig zu haben. Offizielle VÖ soll im September sein.

 

Das letzte Album ist schon eine ganze Weile her – so lange hat’s bislang noch nie gedauert, oder?
Wir zählen oder kontrollieren das eigentlich gar nicht…ist das schon so lange?

„Happiness ist the road“ war 2008…

Das stimmt wohl. Kannst mal sehen. Wir haben es früher oft so gemacht, dass wir uns wirklich eine Auszeit genommen haben, keine Termine angenommen, bis wir ein Album fertig hatten. Dieses Mal waren wir auch zwischendurch immer wieder auf Tour, haben verschiedene Conventions gemacht, sind erst mit Deep Purple und dann mit Saga auf Tournee gewesen. Das Problem war, dass unsere erste Writing Session nicht besonders erfolgreich war, und wir hätten ein mittelmäßiges Album rausbringen können. Aber das wollte wir nicht, also haben wir uns gesagt, lasst uns erst etwas anderes machen und es dann nochmal probieren. Ich denke, das erklärt die große Lücke.

 

Ist es uninteressanter geworden, neue Platten zu veröffentlichen – in kommerzieller oder auch kreativer Hinsicht?

Nein, ganz bestimmt nicht in kreativer Hinsicht. Als Künstler ist Kreativität das Wichtigste. Wenn man sich aber gerade nicht kreativ fühlt, macht es auch keinen Sinn, es zu erzwingen. Kommerziell gesehen gebe ich zu, haben sich die Vorzeichen etwas verschoben. Wir verkaufen zwar immer noch gut, und dadurch, dass wir die CDs selbst vermarkten, verdienen wir daran auch gut, während früher der Großteil bei den Plattenfirmen hängen blieb. Aber jeder weiß, dass prinzipiell nicht mehr so viel Geld mit Platten zu machen ist – während die Gewinne, die mit Konzerten zu machen sind, gestiegen sind. Und auch hier buchen wir die Tourneen selber, haben also auch da die Wege verkürzen können.

 

Wege, die Du mit Richard Barbieri allerdings gerade nicht nutzt…

Nein, wir hätten das Album auch auf unserem Label veröffentlichen können. Aber dieses Album hat überhaupt keine kommerziellen Ziele, dieses Album ist ein Experiment für unsere Kollaboration. Und um diese Arbeit so vielen Menschen wie möglich zugänglich zu machen, haben wir uns entschieden, es über Kscope zu veröffentlichen. Mal sehen, ob wir dadurch mehr Menschen erreichen…Die Erfahrungen mit Marillion zeigen, dass in dem Moment, in dem wir die Platte noch einmal über einen Vertrieb in die Läden bringen, wir noch einmal das 2- bis 3-fache davon verkaufen. Es gibt immer noch genügend, die ihre CDs nicht online kaufen – oder einfach nicht davon erfahren.

 

Ihr habt ja sogar die Marbles-Doppel-CD Version noch einmal in die Shops gebracht – die sollte ja ursprünglich exklusiv über Euch erhältlich sein. Aus dem gerade genannten Grund?

Ja, absolut. Es geht uns ja auch immer noch darum, mit unserer Musik möglichst viele Fans zu erreichen.

 

War der Rerelease eigentlich der Grund für das Übergewicht des Marbles-Albums bei der Deep Purple Tour?
Nein, das ist mir so noch nicht in den Sinn gekommen… aber ich weiß was du meinst. Die Setlist auf der Purple-Tour war gar nicht so einfach. Wir wollten nicht die leisen Songs spielen, das war klar, es ging also um Rock und Energie. Die Entscheidung, „The Invisible Man“ und „Neverland“ zu spielen war, weil wir meinen, dass sie unsere besten Songs sind… da lag es schon nahe, sie zu nehmen. Wir wollten ja jetzt nicht gerade den schlechtesten spielen!

Der da wäre?

Der schlechteste, den wir geschrieben haben? Nun, alle, die rausgekommen sind, bevor ich in die Band kam.

 

Nun, davon hattet ihr da ja auch welche im Set…

(lacht) Ja, da stimmt, aber nicht viele.