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Steven Wilson

Interview 2011   Ältere Interviews mit Steven Wilson - als Kopf von Porcupine Tree - findet ihr HIER!

Er ist den harten Weg gegangen, hat seinen Traum verwirklicht, und in steter Arbeit sein „Baby“ Porcupine Tree groß gezogen  - vom Studioprojekt zur Band in Ehren und aller Munde. Naja, fast aller. Nebenbei hatte er schon immer seine Projekte – Bass Communion, No Man, Blackfield und zig Kollaborationen. All das war nicht genug. Er brauchte noch ein neues Sprachrohr. Eines, mit dem er zurückgehen konnte zur uneingeschränkten Chefposition. Solo. „Grace For Drowning“ ist sein jetzt erschienenes zweites Soloalbum, zwar nicht alleine aufgenommen, aber trotzdem anders als alles, was er bislang gemacht hat. ZeitPunkt-Redakteur Ralf Koch sprach mit dem Briten.

 

ZeitPunkt: Wie kam es dazu, dass dieses Album einmal mehr komplett „anders“ ist?

Steven: Hmm, da gibt es mehrere Gründe. Einer der Hauptgründe ist, dass der Beginn des Schreibprozesses schon sehr anders war, als z.B. des letzten Soloalbums. Während da noch mehr diese Post-Punk-Wave Bands wie Joy Division, The Cure, Cocteau Twins gerade in meinem Player und in meinem Kopf waren, war ich dieses Mal sehr vertieft in die Musik, mit der ich nicht aufgewachsen bin, aber auf die ich zurückgegangen bin, die Musik der frühen 70er, der frühen Progressivrockbewegung und Bands, die viel Jazz in ihrer Musik hatten, so wie King Crimson.

 

ZeitPunkt: Für die hattest Du gerade ihre frühen Alben abgemischt – dich also sehr intensiv damit beschäftigt!

Steven: Genau deswegen war mein Kopf damit so voll. Und ich habe so viel gelernt von dieser Musik, nicht nur über die technische Seite und wie sie gemacht wird, sondern auch, was mich so daran fasziniert und was ich daran so liebe. Diese Fusion von Jazz, Free Jazz, Rock, ArtRock, Symphonische Musik – und gerade mit dieser Jazz-Seite habe ich mich nie weiter beschäftigt, aber letztendlich ist das die Wiege des Prog, wie wir ihn heute kennen. Jazz war immens wichtig für Prog – im Endeffekt kann man sagen, dass es die Jazzmusiker waren, die den Prog erfunden haben, als sie sich entschieden, Rock zu spielen. Ganz einfach, weil sie eine ganz neue Herangehensweise an den Rock hatten. Deswegen wurde sie so kreativ und experimentell.

 

ZeitPunkt: Eine interessante Sichtweise – zumal das heute nicht mehr unbedingt hörbar ist, oder?

Steven: Nein, wenn du dir die Entwicklung der letzten 30 Jahre anschaust, kannst du feststellen, dass dieser Jazz-Einfluss immer mehr ausgelöscht wurde – was sehr seltsam ist, weil er so wichtig war für Bands wie King Crimson, Soft Machine, Jethro Tull, Van der Graaf Generator, Caravan. Sie hatten das alles – und in den letzten Dekaden gibt es das immer weniger. Und es war ein bisschen so, dass ich versucht habe, dieses Jazz-Element wieder zurück zu bringen in den Progressivrock.

 

ZeitPunkt: Wann hast Du diese Musik denn ursprünglich für Dich entdeckt?

Steven: Es gab für mich drei Bands, die mich beeindruckt haben, als ich Kind war: King Crimson, Pink Floyd und Tangerine Dream. Die Pink Floyd Seite habe ich mit Porcupine Tree aufgegriffen, die Tangerine Dream-Seite habe ich mit meinem Bass Communion-Projekt weiterverfolgt, aber ich habe diese King Crimson Sache aus den Augen verloren. Sie sind auch nicht sehr einfach. Und ich würde auch nicht wirklich behaupten wollen, dass ich Musik mache oder machen wollte, die klingt wie King Crimson, aber es gibt eben Elemente, die mich daran interessieren.

 

ZeitPunkt: Ich erinnere mich an ein Interview mit Adrian Belew zum KonStruKCtion of Light Album, als er mir erzählte, dass sie teilweise mit Taschenrechnern ausgerechnet hätten, wo sie sich wieder treffen – sie haben also einen sehr technischen Ansatz. Der würde nicht wirklich zu dir passen, oder?

Steven: Nein, aber das war auch eine ganz bestimmte Ära der Band, die sich wieder unterscheidet von der frühen Phase King Crimsons. In den frühen Tagen hatten sie vor allem eine sehr freie Art, Songs zu komponieren – und das kam ja auch von den Musikern, die in der Band waren, das waren Jazzmusiker. Die waren diese Art von Freiheit gewohnt. In der späteren Phase von der Du erzählt hast, waren das doch in erster Linie Rockmusiker in der Band.

 

ZeitPunkt: Waren sie Opfer ihres eigenen Rufs geworden?

Steven: Oh, ich liebe, was sie zu der Zeit gemacht haben, auch sehr. Aber es war eben eine andere Zeit. King Crimson haben schon immer eine sehr eigene Art zu musizieren – das ist ihr Stil und auch ihr Anspruch.

 

ZeitPunkt: Wie eng hast du mit der Band zusammengearbeitet, als du die Alben neu abgemischt hast?

Steven: Ich hatte alle Mastertapes und habe sie digitalisiert und ich stand in Kontakt mit Robert (Fripp), aber ich habe ziemlich autark gearbeitet.

 

ZeitPunkt: Du hast dich also nicht mit Robert über die Alben unterhalten?

Steven: Das brauchte ich nicht. Erstes, weil sie in meiner DNA gespeichert sind und zweitens, weil Robert nicht gerne über seine Musik spricht. Musiker haben ja generell einen anderen Zugang zu ihrer Musik als ihre Fans – und ich kann sagen, dass ich seine Alben besser kenne, als er selbst. Manche davon hat er seit 40 Jahren selbst nicht gehört – nicht nur wegen der Musik, sondern auch wegen der Bandkonstellationen zu der Zeit, an die er gar nicht so gern erinnert werden möchte. Ich bin also sehr behutsam mit dem Vermächtnis dieser Alben umgegangen und habe zunächst die Stereomixe so original wie möglich wiederhergestellt bevor ich mich an die Surroundmixe gemacht habe. Und dann hat Robert sich das angehört und sein OK gegeben.

 

ZeitPunkt: Wie kam es überhaupt zu der Zusammenarbeit?

Steven: Wir haben dasselbe Management.

 

ZeitPunkt: Du hast es schon erwähnt, für Porcupine Tree hast Du dich mehr auf deine Pink Floyd Seite konzentriert – man kann eigentlich sagen, dass dies dein progressivstes Album bislang ist, oder?

Steven: Ja, absolut.

 

ZeitPunkt: Da ist mehr „Prog-Fan“ drin, als du jemals zugegeben hast als Porcupine Tree Musiker.

Steven: Haha, ja, jetzt ist es endlich raus. Ja, es gibt definitiv mehr aus dieser üblichen Palette an Sounds, die man mit der Goldenen Ära in Verbindung bringt – Mellotron, Wood Winds, Chöre – und es gibt keine Versuche, sie zu verstecken und zwanghaft ins Moderne zu übertragen. Aber gleichzeitig finde ich, dass es sehr modern klingt, so seltsam sich das anhört, aber ich bin nun einmal ein Kind der 80er und 90er und das spiegelt sich immer in meiner Musik wider. Also ist es eine interessante Verbindung hier: Meine zeitgemäße Art, Musik zu machen und das traditionelle Vokabular – und nicht zuletzt Jazzmusiker, mit denen ich gearbeitet habe, um sie aufzunehmen, da kommen viele Sachen zusammen. Aber du hast wohl Recht, es ist das klassischste Vintage Progressive Rock Album, das ich je gemacht habe – und es geht zurück in eine Zeit VOR NeoProg, ProgMetal etc.

 

ZeitPunkt: Machen Porcupine Tree Prog?
Steven: Porcupine Tree sind vier Leute in einer Band, und nur einer ist Progfan – und das bin ich. Die anderen drei kommen eher aus der Elektronik, aus dem Metal oder der Weltmusik. Natürlich schreibe ich die meiste Musik, und ich lege Wert darauf, dass es eine Art Konzept gibt, eine musikalische Reise, auf die ich die Hörer mitnehme, und das erinnert natürlich an Prog, auch weil diese Reise über viele Breaks und Wechsel, über eine große Dynamik und viele Solopassagen geht, und all das sind Sachen, die man mit Prog in Verbindung bringt, aber viele Sachen, die wir machen, berühren auch ganz andere Bereiche – Pop, Metal, Ambient, Elektronik. Aber, um es kurz zu beantworten, ja, es folgt der Tradition des Prog.

 

ZeitPunkt: Du hattest dich früher gerne dagegen gewehrt, in diese Schublade gesteckt zu werden.

Steven: Kein Musiker möchte in irgendeine Schublade gesteckt werden, und das galt für mich und gilt auch noch immer. Der einzige Grund, warum ich für das neue Album gerne zugebe, dass es zu den frühen Wurzeln zurückgeht, ist, dass ich denke, dass es sie in die Moderne transzendiert. Ich habe kein Interesse, eine Hommage oder ein Tributalbum zu machen, ich hoffe, es gibt starke Referenzen an diese Zeit, aber ich hoffe auch, dass es immer noch nach mir klingt, nicht wie eine Kopie von irgendjemand anderem. Ich werde ja oft gefragt, was meine Einflüsse sind, und ich versuche dann gerne abzulenken und spreche über Filme und so, aber offensichtlich gibt es Bands in meiner DNA, die ich eigentlich gar nicht verschweigen möchte.

 

ZeitPunkt: Einige der Songs haben mehr oder weniger starke Reminiszenzen an Van der Graaf und King Crimson, andere klingen aber auch nach frühen Porcupine Tree – wäre es trotzdem unmöglich gewesen, dieses Album unter dem Namen Porcupine Tree zu machen?

Steven: Ja, absolut. Die ersten drei Alben waren Soloalben, damit habe ich angefangen, aber dann wurde es eine Band. Und die Sache mit einer Band ist, dass man einen Bereich findet, in dem man sich trifft, auf den man sich einigt, dass man sich da wohl fühlt. Das ist im günstigsten Fall ein Schmelztiegel aus den Einflüssen aller Mitglieder – und zwangsläufig ein relativ kleiner Platz. Das ist gut, das gibt der Band ihre Identität, aber es limitiert sie gleichzeitig auch. Ich könnte nicht einfach zu Band gehen und sagen, `hey guys, ich würde hier gerne ein 3-Minuten-Flötensolo einbauen´. Das wäre nicht fair. Ich weiß auch, dass sie nicht auf Jazz stehen – zumindest zwei nicht, also würde diese Jazz-Seite niemals so stark durchscheinen können. So etwas kann ich auf Soloalben machen – und das ist dann ja auch, womit ich mich von der Band unterscheiden kann.

 

ZeitPunkt: So sehr ist das eine Band, dass du darüber nicht entscheiden könntest?

Steven: Ja, ich denke schon. Bzw. ich würd es nicht wollen. Weil ich keine Lust hätte, vor einer Band zu stehen, die hasst, was sie spielen soll. Das würde mir ja auch keinen Spaß machen. Der Sinn dieser Band ist, dass wir genießen, was wir zusammen machen.

 

ZeitPunkt: Freust du dich deshalb umso mehr über Soloalben?

Steven: Soloalben sind per Definition offen, niemand redet dir rein, niemand sagt, er möchte etwas anderes machen, du bist in der Position, alles allein entscheiden zu können – was gut aber auch schlecht sein kann – viele haben ein Soloalbum gemacht, das man sich gar nicht anhören kann, weil sie sich maßlos verschätzt haben, und ich hoffe, dass mir das nicht passiert ist, aber es ist ganz klar, dass dieses Album auch maßloser ist, überall eigentlich maßloser ist, als ich es mit der Band hätte machen können. Aber ich habe es sehr genossen und ich glaube es ist ein starkes musikalisches Statement.

 

ZeitPunkt: Was ist überhaupt der Ausgangspunkt? Waren beide Soloalben für dich Arbeiten, bei denen du dir von Anfang an sicher warst, dass es Soloalben werden würden?

Steven: Ja. Ich hatte Ideen, und ich war mir gar nicht bewusst, dass es so viele waren. Zu viele für ein einzelnes Album, deswegen wurde es ein Doppelalbum. Ich war inspiriert, mich mit dieser Musik zu beschäftigen, die ich bei keinem anderen Projekt hätte unterbringen können. Und besonders diese technische Seite des Jazz war sehr erfrischend für mein Songwriting, und ich habe mit Musikern gearbeitet, mit denen ich noch nie gearbeitet hatte, und die waren wiederum sehr inspirierend. Der ganze Prozess des Schreibens und Aufnehmens war sehr fruchtbar und kreativ.

 

ZeitPunkt: Die Musiker sind alle neu?

Steven: Die meisten, ja. Vor allem der Drummer hat eine Menge ausgemacht. Ein Jazz-Drummer arbeitet so erheblich anders als ein Rock-Drummer. Da passiert etwas Magisches. Rock-Drummer sind es gewohnt, songdienlich zu spielen, den Groove drunter zu legen und die ganze Band zusammenzuhalten. Jazzdrummer improvisieren die ganze Zeit, spielen die ganze Zeit ihre Soli, fordern die anderen Musiker die ganze Zeit heraus. Und ich musste erstmal Leute finden, die damit umgehen können!

Ralf, ich fürchte, wir müssen Schluss machen, ich hab einen anderen Termin. Hast Du noch eine Frage?

 

ZeitPunkt: Warte, ich such mir eine aus: Ich fragte mich, als wer oder was möchtest du später gerne erinnert werden möchtest. Ich meine, manche Musiker stehen für einen bestimmten Sound, oder für etwas bestimmtes, das sie der Musikwelt hinterlassen haben, oder auch für die Band, in der sie gespielt haben. Was ist dir am wichtigsten? Dass du so viele verschiedene Sachen gemacht hast, oder dass du dich immer weiter entwickelt hast, oder dass du z.B. geschafft hast, Porcupine Tree so groß zu machen?

Steven: Nein, das wäre mir nicht genug. Ich denke, ich mag die Idee, dass ich der Kollaborateur bin, die Tatsache, dass ich so viele verschiedene Projekte gemacht habe, dass ich mit so vielen verschiedenen anderen Musikern zusammen gearbeitet habe, dass ich ein Produzent bin, ein Songwriter. Ich mag die verschiedenen Aspekte meiner Arbeit, nicht nur die eine Band. Weil dass nur ein Teil meiner Persönlichkeit ist, nur ein Teilaspekt meiner Person.

Das ist, als wenn man sich an eine Person nur dafür erinnern würde, dass sie immer so lustig war, oder immer traurig, oder depressiv. Ich bin das alles – und noch viele andere Dinge mehr. Und ich glaube, die meisten Leute kennen mich mittlerweile von mehr als einer Sache, und das ist gut – und ich werde versuchen, weiterhin so viele verschiedene Sachen wie möglich zu machen.