Ralf-Koch.de§ Doors Down Setlist Bremen

Rock-, Pop- und Szene-News und mehr....

  • Startseite
  • Friebo
  • Radio Jade
  • Oldenburg 1
  • Neue CDs
  • Interviews
  • Zur Person
  • Links





 

Tocotronic

 Interview Juli 2018

Mit dem Hamburger Quartett Tocotronic hat das Watt En Schlick Festival 2018 eine Institution unter den deutschen Bands eingeladen: Seit 25 Jahren dabei gehören sie nicht unbedingt zu den erfolgreichsten, durchaus aber zu den einflussreichsten Bands der Republik. Als Mitbegründer der „Hamburger Schule“ konnten sie sich früh einen Namen und einen Status erspielen, der ihnen auch heute noch eine gute Reputation sichert. Wobei lange nicht ganz klar war, was wichtiger ist, Musik oder Text, Gefühl oder Aussage. Womit sich die Frage stellt, wo sich Sänger und Mastermind Dirk Von Lowtzow am ehesten sieht. Eine Frage, die wir gerne weitergeben.

 

 

Wie definierst du deine Kunst – oder besser: Definierst Du Deine Kunst?

Was denn? Die Musik? Die Texte? Ich glaube nicht, dass Künstler auf diese Frage die richtige Antwort haben. Natürlich kann ich sagen, dass ich Musiker bin und in der Rolle auch sowohl Instrumentalist als auch Sänger und Songschreiber – und das was wir machen ist im weitesten Sinne Rockmusik ist, vielleicht auch Pop.

 

Hat sich das verändert über die Jahre?

Nein, eigentlich nicht. Natürlich haben wir uns als Menschen verändert und hat sich auch unsere Musik in den 25 Jahren verändert, weil wir uns auch als Musiker entwickelt haben und das wäre auch nicht gut, wenn das nicht so wäre in einem Genre, in dem man sich nicht dezidiert einem gewissen  Genre verschrieben, bzw. verpflichtet hat. Im Heavy Metal würde man wahrscheinlich schief angekuckt, wenn man sich zu sehr verändert, aber das ist ja, wie gesagt, bei uns nicht der Fall.  Wir treten niemandem auf die Füße, wenn wir uns verändern.

 

Aber es ist auch interessant, dass du „Rockmusik“ als erstes genannt hattest, ich hatte euch stärker im Pop verortet, fand aber das neue Album angenehm rockorientiert…

Das war immer mal mehr das eine oder mehr das andere – das sind die zwei Pole, zwischen denen wir uns bewegen und da wir als Quartett immer mehr sind als die Summe seiner Teile, kommt es da immer zu Bewegung. Ich würde sagen, Rock ist mehr unsere Live-Seite, und auf den Alben fangen wir das mal mehr mal weniger ein, aber wir hatten auch immer die Pop-Seite in uns. Und wir sind auch nicht die, die das für uns definieren oder für die dieser Unterschied besonders wichtig wäre.

 

Das aktuelle Album hat ein übergreifendes Konzept – wie kam es dazu?

Konzepte und wie man dazu kommt, sind oft nicht viel mehr als Gedankenblitze oder kurze Ideen und dann findet man sich in der Situation wieder, dass man diese Idee weiterverfolgt. Oder man stellt fest, dass 3, 4 Songs ein ähnliches Thema eingeschlagen haben – bewusst oder unbewusst – und dann entscheidet man sich, dieses Thema weiterzuverfolgen. In diesem Fall war das Thema Biografie – oder besser: Meine Autobiografie. Nun sind autobiografische Texte im Pop nicht so außergewöhnlich, aber wir haben das insofern strukturiert, als wir das chronologisch geordnet haben in Vorwort, die Unendlichkeit von Kindheit und bis hin in die Zukunft – und das hat besonderen Spaß gemacht.

 

Warum der Titel „Die Unendlichkeit“?

Für eine Biografie gibt es keinen besseren Titel, das war uns von Anfang an klar.

 

Stücke wie „1993“: Haben nostalgische Gedanken etwas mit dem Zeitgeist zu tun – momentan scheinen einem ständig diese Art von Rückblicke zu begegnen im Radio – oder mit dem eigenen Alter?

Ich würde schon dem Wort nostalgisch widersprechen. Natürlich behandelt eine Autobiografie Stationen des Lebens, aber nostalgisch hieße ja eine Verklärung von Tatsachen und das tun wir ja gerade nicht. Wir blicken ja sehr nüchtern darauf. Musik hat viel mit Geschichte und Geschichten zu tun, aber nicht unbedingt mit Nostalgie. Gleichzeitig gibt es natürlich Momente und Elemente, wie z.B. in „Electric Guitar“, die Hörern in meinem Alter das Gefühl von sehnsuchtsvollem Rückblick geben. Aber abgesehen davon geht das Album ja sogar bis in die Gegenwart, bzw. in Stücken wie „Mein Morgen“ oder „Alles was ich immer wollte“ sogar bis in die Zukunft.

 

Was hat Dich 1993 nach Hamburg gezogen?

Ich wollte Musik machen und Hamburg war die Stadt, die ich damit assoziiert habe, in der die Musik stattfand, die mich interessiert hat. Hier hatte ich das Gefühl, könnte es eine Szene für mich geben.

 

Hat das Album, bzw. das Thema des Albums etwas mit eurem 25jährigen Jubiläum zu tun?

Nein, eigentlich nicht, nein. Und wenn man so lange zusammenspielt, hat man ja ständig irgendein Jubiläum, 10., 11., 15….. Da muss man ja schon fast aufpassen, wenn man ein Album nicht in einem Jubiläumsjahr veröffentlichen will (lacht).

 

Am Anfang einer Karriere will man ja gerne so hoch wie möglich, was würdest Du heute als Dein Ziel, bzw. Deine Herausforderung bezeichnen?

Bei mir persönlich ist es fast umgekehrt, weil ich anfangs eher Angst hatte, viele Leute zu erreichen, weil wir eigentlich lieber in einer bestimmten Indie- und Underground-Szene ankommen und erfolgreich sein wollten, und da war großer Erfolg ja eher verpönt. Das kann man gut am Beispiel Nirvana sehen, die an ihrem Erfolg und nicht zuletzt auch an den Schuldgefühlen, die eigenen Ideale verkauft zu haben, vielleicht auch zerbrochen sind. Deswegen ging es bei Band wie uns eher um eine größtmögliche Abgrenzung. Das kommt mir heute, aus der Sicht eines 47-jährigen schon fast albern und elitär vor, heute denke ich eher, dass das gerne hören soll, der es mag und freue mich darüber, wenn es ein paar mehr sind.

 

Dann wart ihr aber nicht sehr erfolgreich in dem Vorhaben…

Die Herangehensweise ist ja auch zugegeben etwas schizophren, denn letztendlich will ja jede Band irgendwie Erfolg haben. Aber die Zeit war auch eine andere, vor der Digitalisierung, in der die Musikindustrie eine Größe hatte, von der man sich als Indie-Künstler nicht unbedingt vereinnahmen lassen wollte und in der es Künstler gab, mit denen man nicht auf eine Stufe gestellt werden wollte. Man könnte es eher als eine Ideologie bezeichnen, in der man allzu einfach erkauften Erfolg nicht haben wollte – und das durchaus viele Bands beschäftigt. Heute sehe ich das gelassener – es ist ja nur Musik (lacht).

 

Würdest du das denn heute – noch – als ein Ziel deiner Arbeit bezeichnen?

Wir können das als Band nur anbieten – und wenn es Leute gibt, die das mögen, klar, gerne. Früher galt es auch als unpassend, wenn Leute mitgesungen oder mitgeklatscht haben. Hey, wir sind hier im Underground, nicht im Musikantenstadl! Heute finde ich das sehr schön, wenn die Leute meine Musik kennen. Da kannste mal sehen, wie verdreht im Gehirn wir damals waren – und damit waren wir nicht einmal allein.

 

Deswegen habt ihr damals auch die Comet-Auszeichnung von VIVA abgelehnt!

Das ist richtig, wobei ich das unter den Voraussetzungen auch heute noch ablehnen würde. Immerhin hieß die Kategorie damals „Jung, deutsch und auf dem Weg nach oben“ und das war uns zu nationalistisch und wir haben uns als bewusst antinationalistisch und im Gegenzug unsere Musik als internationalistisch gesehen haben, deswegen wollten wir den Preis nicht haben. Was ist denn deutsch, wer ist deutsch, wer wird dazugezählt – das sind ja ganz aktuelle Themen. Kann jemand mit Migrationshintergrund diesen Preis auch gewinnen? Deswegen haben wir mit der Ablehnung gegen diesen Preis und gegen dieses Schubladendenken demonstriert.

 

Im Mai kam das Album „Coming Home“ heraus – ein Mixtape, das ihr zusammengestellt habt.

Ja, man hatte uns gefragt, ob wir das machen wollten. Die Idee ist, ein Tape zusammenzustellen, mit Songs, die man hören würde, wenn man abends – oder frühmorgens – aus dem Club nach Hause kommt. Eine Playlist von Songs, die man zum Runterkommen auflegen würde.

 

Das habt ihr als Band zusammengestellt – muss aber in seiner Aussagekraft nicht überbewertet werden?

Ja, das sind Songs, die dann auch als „derzeitge Lieblingssongs“ bezeichnet werden könnten, aber man muss deswegen keine Verbindungen ziehen.

 

Nicht unbedingt Songs, die ihr im eigenen Set als Coversongs haben würdet?

Nein, nicht unbedingt. Wir haben derzeit auch kein Cover im Programm.

 

Die erste Tournee zum Album ist schon durch – inwieweit unterscheidet sich eine Tour-Setlist von der eines Festival-Gigs, bei dem ja auch viele Leute, die nicht unbedingt Fans sind, da sind?

Eigentlich nichts, weil es eigentlich auch nichts bringen würde, sich darüber Gedanken zu machen. Wir können ja keine Voraberhebungen machen… (lacht). Es gibt natürlich Festivals, bei denen man antizipieren könnte, welche Stimmung herrscht oder welche anderen Bands spielen, so dass man die Reihenfolge vielleicht etwas an die Stimmung anpasst, aber was sollen wir sonst anders machen? Wir können ja gar nichts anderes (lacht). Aber im Falle Dangast handelt es sich ja um ein eher liebevoll kuratiertes Festival, bei dem ein breitgefächertes Programm und Publikum erwartet werden kann, das kommt uns als Band mit unserem Programm eigentlich sehr entgegen. Da müssen wir uns gar nicht groß verbiegen.

 

25 Jahre Tocotronic – was ist für dich das schönste am Musikmachen?

Was mich immer wieder glücklich macht, ist wenn man es geschafft hat, den anstrengenden Prozess, ein Album zu machen zur allgemeinen Befriedigung geschafft hat, oder von einer anstrengenden Tournee zu kommen und festzustellen, dass man die Leute mit dem erreicht hat, was man wollte – und das ist ein glücklicherweise immer wieder vorkommendes Glücksgefühl.

 

Welche Rolle spielen in dem Zusammenhang Eure Konzerte?

Ich nehme Konzerte v.a. körperlich wahr, und das ist das, was ich daran am interessantesten finde. Im Singen, im Spielen und in der Bewegung nehme ich meinen Körper sehr intensiv wahr und das macht sie so schön und so spannend.