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w:W – wingenfelder:Wingenfelder

Anfang September startete ein sehr ungewöhnliches Projekt: Die beiden Fury in the Slaughterhouse Frontmänner Brüder Kai und Thorsten Wingenfelder touren quer durch Niedersachsen und spielen mit wechselnden Gästen in den Jugendherbergen. Zwischendurch gibt es eine 14-Daten w:W-Tournee durch die Clubs – inklusive Pumpwerk am 28. Oktober – bevor es im November weitergeht mit den „Jugendherbergs-Mini-Festivals“ (u.a. Jever 23.11.)

Im Gepäck immer mit dabei: Ihr erstes gemeinsames Album. Ich habe die beiden nach dem furiosen Auftakt in Bad Zwischenahn besucht.

 

Erster Abend – habt ihr euch das so vorgestellt? Inwieweit ist das überhaupt planbar?

Thorsten: Das musikalische Setup ist planbar, aber auch das ist natürlich nicht mehr als eine große Blase, die dann irgendwie gefüllt wird. Wir wussten ehrlich gesagt selber nicht genau, wer wann was mit wem spielt. Hier mit der Band, da kommen nur wir als Ergänzung

 

Zum Beispiel der Auftritt mit Mousse T - wieviel ist da spontan?

Thorsten: Als Band haben wir das nicht zusammen gespielt, wir haben die Stücke zwar jeder für sich zuhause vorbereitet, aber zusammen konnten wir das so nicht proben. Schön fand ich, dass das Ganze mit den musikalischen Gäste so eine Art Minifestival-Charakter angenommen hat, das war eine der positiven Überraschungen für mich. Und die kleine Fotoausstellung, und der Bus, das scheint auch alles sehr gut angenommen und angekommen zu sein.

 

Ist es nicht eher ungewöhnlich, mit dem größten Konzert zu starten, und danach die kleinen folgen zu lassen?

Kai: das größte kommt ja noch. Das war jetzt die Kick-Off-Veranstaltung, und das bot sich an, weil man hier eben mehr Platz dafür hatte. Und so konnten wir auch erstmal ein kleines Ausrufezeichen setzen. In Worpswede ist der ganze Raum nur zwei Meter hoch, da stoße ich fast mit dem Kopf an die Decke… Man muss sich ja auch nicht klein anfangen und sich dann steigern.

Die ganze Reihe ist ja eh sehr abwechslungsreich, mit vielen verschiedenen Locations, verschiedenen Gästen, nicht nur Musik, auch Lesungen und Erlebnisberichte.

 

Die ihr wie zusammengestellt habt?

Kai: Nach dem, was wir kannten, was wir mochten und was sich spontan bereit erklärt hat, dabei sein zu wollen.

Thorsten: Jemand wie Bosse, das sind Leute, die bei der gleichen Agentur sind, man traf sich, man mag sich, Johannes Strate, Sänger von Revolverheld, den hab ich einfach kontaktiert. Wir hatten mal über facebook Kontakt, dann hab ich ihm das Konzept vorgestellt, und dann haben wir das ganz unkompliziert eingetütet. Aber auch Ansgar Brinkmann, ex-Profifußballer von Hannover 96, den kannten wir noch aus Fury-Zeiten. Und ich hab mitgekriegt, dass er das Buch rausgebracht hat und jetzt haben wir halt nie Lesung mit ihm dabei.

 

Wo seht ihr denn den Wert für euch, den Reiz für euch auch für diese Jugendherbergstour?

Kai: Das gab’s noch nicht, das ist doch schon mal reizvoll. Diese Grundidee, Künstler an plätze zu bringen, an denen sie noch nicht waren. Es geht ja nicht nur um die Jugendherbergen, sondern auch darum, wo sie sich befinden. Wir spielen ja eben nicht Hamburg, Berlin, Köln, sondern genau das Gegenteil, raus auf’s Land, wo so etwas eben normalerweise nicht läuft. Kulturbotschafter klingt jetzt ein bisschen hochgestochen, aber im Endeffekt hat es etwas davon. Und es war uns auch wichtig, von dem was in der kulturellen Landschaft so passiert, auch mal in die Ecken zu transportieren, in denen so etwas sonst eher nicht stattfindet. Und das gerade in dieser intensiven Art, wo man danach auch die Möglichkeit hat, sich mit dem Künstler zusammen zu setzen und sich auf Augenhöhe mit ihm zu unterhalten. Das ist ja auch spannend für beide Seiten.

 

Habt ihr denn eigene Erinnerungen an Jugendherbergen?
Kai:
Ich war erst zwei, nein drei Mal in einer, davon war die eine bereits ausgemustert, das war nämlich die auf Spiekeroog, da hab ich meinen 50. Geburtstag gefeiert, und alle Gäste haben da geschlafen. Und die andere war in Südfrankreich, die war oben auf einem Berg und man musste gefühlte 400m mit seinem Gestängerucksack den Berg hochkraxeln, und die andere war in Amsterdam – aber die hat bei mir keinen bleibenden Eindruck hinterlassen.

 

Aber es gibt v.a. auch musikalische Gründe für Euch, diese Tournee zu machen: Euer erstes gemeinsames „Solo“-Album! Wie kam es dazu?

Thorsten: Wir haben schon während der Fury-Zeit schon mal zwei Konzerte als „The Wingenfelders“ gemacht, eins bei Kai im hohen Norden, eins bei mir im Bergischen, quasi als Weihnachtskonzerte. Und da haben wir schon so ein bisschen diese Mixtur gehabt, dass wir Fury-Songs, die wir geschrieben hatten mit Solosongs von Kai und mir ausgewählt haben – alles wild gemischt, und das ist richtig gut angekommen. Und nach Fury haben wir schon darüber geredet, aber wir haben beide ja erstmal unsere neuen Jobs gehabt und genossen. Und um dann auszuprobieren, was kommen könnte, sind wir dann im Winter nach Dänemark gefahren haben ein paar Songs oder Songideen entworfen. Und einer davon ist sogar „Besser zu zweit“, der Titelsong des Albums. Und daraus ist dann langsam ein Konzept geworden.

Kai: Ja, dann haben wir beschlossen, wir machen das jetzt, und seitdem gehen wir los.

Thorsten: Und jetzt sind wir auf der Reise und lassen die Dinge auf uns zukommen, und momentan entwickelt sich das gerade sehr gut.

 

Ihr hattet ja nun beide gerade zuletzt Soloalben veröffentlicht – das hättet ihr ja auch weitermachen können.

Kai: Aber der Albumtitel sagt’s ja eigentlich. Zu zweit erreichen wir eine Bündelung, das hat einfach nur Vorteil, sozusagen eine wing-wing-Situation (lacht). Es macht mehr Spaß, sich über Dinge zu freuen, wenn man zu zweit ist, es ist einfacher, wenn man eins auf die Nase kriegt und wenn man seine Kreativität bündelt, gelingt es einem manchmal einfach auch, die schöneren Dinge zu machen.

 

Eine interessante Sichtweise. Viele machen ja gerade gerne die Erfahrung, mal für alles allein verantwortlich zu sein – aber das hattet ihr ja, wie gesagt, auch schon.

Thorsten: Wir spielen im Set ja auch Songs davon. Sogar vom Driftland-Album einen umgebauten, vom Piraten-Musical, das ich mal für eine Grundschulklasse gemacht habe, einen Song übernommen, also wir nehmen auch was aus der Vergangenheit und bauen das entsprechend um.

Kai: So wie „Radio Orchid“ jetzt eben ein Klavier hat. Hat ja mit dem Original nicht mehr so ganz viel zu tun, aber in so einer Konstellation kann man das eben machen, Musik ist ja auch dazu da, dass man damit spielt, und die weiterentwickelt. Und im weiteren Verlauf der Tour werden wir auch immer wieder neue Songs ausprobieren und einbauen, austauschen, verändern vielleicht auch. Und dann kommt zwischendurch ja unsere richtige Tournee, da werden die Konzerte natürlich noch wieder ganz anders.

In den Jugendherbergen wird ja auch viel experimentiert, da wird es verschiedene Bühnen geben, verschiedene Formate, da sind wir die Gastgeber, haben uns auch verschiedene Aktionen ausgedacht, bei denen wir das Publikum mit einbeziehen, die Künstler vorzustellen.

 

Zu Eurem neuen Album: Mich hat der Sound überrascht! Gerade in Ankündigung der Jugendherbergstour hatte ich eher ein akustisches Album erwartet… es rockt aber ganz gut!

Thorsten: Hat sich so ergeben… ich sage ja, wir sind auf einer Reise, und wir hatten an fast alles gedacht, aber nicht an ein fast klassisches Rockalbum.

Kai: …eigentlich wollten wir ein akustisches Album machen, und dann hat irgendjemand einen AC-30 angemacht, diesen schönen alten Röhrenverstärker, und der ging auch nicht mehr aus.

Thorsten: Wir haben das auch nicht hinterfragt, wir hatten ja kein System ausgedacht. Die Reise ist das Ziel.

 

Wie habt ihr euch denn geeinigt, wer singt? Ist Kai doch – schon aus Fury-Zeiten – der noch-mehr-Sänger und du der noch-mehr-Gitarrist?

Thorsten: Ja, das auch.

Kai: Meistens singt der, von dem der Text kommt, auch das Lied, weil er in dem Moment auch der Sache näher ist. Die Texte haben ja immer auch sehr viel mit uns selber zu tun. Und wenn wir Sachen zusammen machen, dann ergibt sich das auch so. Da setzen wir uns nicht am Ende hin und teilen die Songs auf, damit jeder gleich stark beteiligt ist. Und „Besser zu zweit“ singen wir ja auch zu zweit.

 

Zu einem der Highlights auf dem Album hast du schon auf der Bühne kommentiert, dass es ein sehr wichtiges Stück für dich wäre: „Angst vor der Angst“, ein Stück, in dem du deine eigenen Angstschübe zu Fury-Zeiten verarbeitet hast. Was ja schon eine Zeit her ist. Wieso hat es so lange gedauert, bis du das so rauslassen konntest?

Kai: Es hat lange gedauert, bis ich‘s losgeworden bin, und das geht nur, wenn man sich helfen lässt und das therapiert. Am Anfang ist es ja so, dass man es nicht haben, und auch nicht wahrhaben möchte, und dann hat es auch etwas mit Lähmung zu tun. Man liegt morgens im Bett und steht einfach nicht auf. Alles wäre gut, wenn man nur aufstehen würde, aber du stehst nicht auf, weil deine Birne angeht, und die spielt dir einen Streich. Da kann man sich Szenarien ausmalen, die sich viele gar nicht vorstellen können, denkst dir irgendeinen Blödsinn zusammen. Deswegen die Zeile „Das schwärzeste Schwarz ist nicht Schwarz genug für mich“, man kann sich mit ein bisschen Intelligenz alles richtig schlecht reden, und auch total hilflos nur noch eine Wand sehen, vor der man festhängt und durch die man nicht durchkommt. Das kommt dann in Schüben und man redet sich die Welt schlecht und verpasst letzten Endes die schönsten Momente im Leben. Heute sing ich darüber, und das tut sehr gut.

Thorsten: es ist einer der Songs, bei dem uns immer wieder Leute ansprechen und sagen, das ist genau mein Song, das habt ihr genau getroffen – und mehr kann man dann auch als Künstler nicht erreichen. Offensichtlich haben wir da auf simple Art die richtigen Worte getroffen.

 

So simpel würde ich das jetzt gar nicht bezeichnen wollen…

Kai: Sprache ist da enorm wichtig. Man kann Dinge auch totquatschen, oder über-poetisieren. Für mich ist es persönlich sehr wichtig, Dinge sprachlich auf eine klare Linie, auf eine einfache Kodierung zu bringen.

 

Gibt es zu „Irgendwann zurück“ eine persönliche Geschichte?

Thorsten: Ja, dass mein Sohn nach einem riesen Disput ausziehen wollte und seine Gitarre und ein paar Sachen in seine Sporttasche packte und unter Weinen und Zetern zur Haustür ging und sagte „ich geh jetzt raus“ mit seinen 9 Jahren. Er ging  bis zur Ecke und kam dann zurück und sagte „So, jetzt bin ich wieder da“. Wir haben ihn halt gehen lassen und später die Sache am „round table“ geklärt. Aber ich fragte mich dann, wie es denn ist, wenn er das gleiche sagt, wenn er 18 ist – und in  dieser Stimmung hab ich diesen Song geschrieben.

 

„Perfekt“ läuft ja bereits im Radio, „Revolution“ könnte auch eine nächste Single werden, oder?

Kai: Das ist gut denkbar. Der hat sich auch zufällig gefügt – ich hatte mir vorgenommen, zum Thema Revolution ein Lied zu schreiben, als das in Ägypten losging. Und das passte natürlich, Revolution wird von einfachen Menschen gemacht, es sind die ganz normalen Leute, die auf die Straße gehen, und die Ängste, die da mitschwingen, sind ganz normale- „wird der Hunger gehen, wenn wir Frieden sehen“, das waren die gleichen Fragen, die auch damals in der DDR herumschwirrten. Und das Thema Revolution ist momentan allgegenwärtig, die Leute wachen doch langsam auf. Mit Facebook und Internet ist es auch nicht mehr ganz so einfach, ein Volk zu bescheißen.

 

Inwieweit hat dieses Projekt – und dass du Zeit dafür hattest – eigentlich mit der „Beluga“-Insolvenz zu tun? Immerhin warst du da nach Fury angestellt.

Kai: Gar nichts, den Job habe ich schon im Dezember gekündigt. Das war, als Thorsten und ich uns überlegt haben, dass wir wieder Musik machen wollten, und ich festgestellt hatte, dass mir das wichtiger und näher ist. Das heißt, ich war schon raus, als die Beluga-Krise losging.

 

Du warst ja schon mit dem „Home“-Projekt an der Entstehung der „Beluga School for Life“ in Thailand beteiligt – wird es die Schule noch weiter geben?

Kai: Die wird es wohl noch weiter geben, immerhin ist es eine der modernsten Schulen des Landes, aber wenn die finanzielle Unterstützung fehlt, wird sie natürlich etwas verwahrlosen. Und wenn da keiner einen Finger darauf hat, wird der touristische Teil, der der Schule angeschlossen hat, ganz einfach verdrecken, das geht da relativ schnell. Das ist eine Mentalitätsgeschichte, da wird viel gemauschelt und Geld für viele andere Dinge ausgegeben, Einrichtungsgegenstände unter der Hand verscherbelt, das ist ohne europäische Leitung schwer zu verhindern.

 

Eins der vielen Projekte, wegen derer die Insolvenz von Stolberg so schmerzlich ist.

Kai: Niels hat wirklich lange versucht, mit seinem Privatvermögen die Insolvenz abzuwenden, aber mit einer Heuschrecke wie Oaktree im Nacken konnte das leider nicht gutgehen.

 

Habt ihr Fury schon mal vermisst?
Kai:
Es gibt Momente, an die man sich gerne zurück erinnert, aber es war eine Entscheidung, die richtig war, dabei bleibe ich, weil wir uns auch heute immer noch als Freunde begegnen können, anstatt uns irgendwann wegen des schnöden Mammons irgendwann anzufeinden. Wir hatten 23 wundervolle Jahre und immer wenn wir uns sehen haben wir eine Menge Spaß und wir mögen uns, und das ist uns wichtig.