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Das Musikerleben
ist anstrengend. Und das Tourleben erst recht. Das für 18 Uhr terminierte
Interview wird kurzfristig zunächst auf 18.30, dann auf 20 Uhr verlegt. Der
Künstler ist unpässlich. Als Tourmanager (und Bassist) Jamie Cavanagh mich
schließlich zu seinem Bruder Danny bringt, liegt der noch in seiner Koje des
Nightliners und macht sich auch nicht die Mühe, sich groß aufzurichten. Wie er
auch die Fragen, so hat es den Anschein, größtenteils so beantwortet, wie es
ihm gerade in den Sinn kommt. Was einen gewissen Charme hat – und das Bild des
Anathema Songwriters auf interessante Art vervollständigt.
Ihr seid durch
eine Menge interessanter Stiländerungen gegangen – wie erklärst du das aus
heutiger Sicht?
Du bist über 40, so wie ich. Denke mal zurück, weißt du
noch, ob du dieselbe Person warst, als du 20 warst?
Gewisse Dinge
haben sich geändert…
Siehst du, bei mir auch. Und meine Musik reflektiert das.
Das ist, was passiert, wenn man ehrlich ist. Diese Musik ist nicht eine Karriere,
sie ist eine Lebenseinstellung. Und die ersten Alben entstanden, als ich 20 war
– und ich kann mich nicht einmal mehr daran erinnern, wie ich war, als ich 20
war.
Als du angefangen
bist, war das damals keine Karriereaussicht für dich?
War es nie – und ist es auch immer noch nicht. Es mag
erfolgreich sind, aber Karriere hieße, dass ich da mental anders dahinterstehe.
Ich müsste ständig versuchen, den nächsten Level zu erreichen. Wenn ich ein
Karrieretyp wäre, müsste ich ständig schauen, was ich am besten mache – und du
würdest wahrscheinlich nicht einmal ein Interview bekommen.
Ist das nicht Teil
des Business?
Nein! Nicht von meinem Business. Ich bin keiner von
denen.
Ok, es hat also
etwas mit Alter zu tun. Auch mit veränderten Zielen?
Nein. Wie gesagt, ich plane nicht. Das mag überraschend
sein, aber mir geht es um die Kunst, und um nichts anderes. Weißt du, die
meisten Menschen in dieser Szene sind
relativ engstirnig. Und die Geschäftsleute sind es auch.
In der Musikszene
allgemein?
Besonders in diesem Genre.
Welches ist denn
euer Genre?
Ich weiß es nicht. Ich hab ja nicht von mir gesprochen.
Ich bin keiner von denen. Ich sehe das so: Unsere Musik ist echt, alle
Geschichten sind echt. Sie sind nicht ausgedacht, das ist alles wirklich
passiert. Sie sind nicht kreiert, um Platten zu verkaufen, alle Songs sind
echt. Alle. Was ist dein Lieblingssong?
Puh. „Untouchable“
vielleicht?
Siehst du, das ist eine echte Geschichte. Ich hab mir nicht
gedacht, hey, das wäre eine coole Geschichte. Ich musste sie schreiben. Wenn
ich einen Stift aufs Papier setze, weiß ich nie, was passieren wird. Da ist
nichts künstlich arrangiert, es passiert einfach. Das ist echt. Was nicht
heißt, dass ich alles zu ernst nehme, keineswegs.
Mit jedem Album
wurden die Reaktionen größer, erschwert das das Schreiben neuer Songs?
Ich denke nicht darüber nach. Ich schreibe nicht für ein
Publikum, nehme auch nicht für die Fans auf. Nur für mich selbst.
Aber als Künstler
möchte man sich ja auch weiterentwickeln.
Ja, aber das passiert natürlicherweise. Das mache ich
nicht, um mir zu imponieren – geschweige denn unseren Fans. Wichtig ist,
Risiken zu wagen. Man muss darauf vorbereitet sein, sein Publikum zu verlieren.
Könnte euch schon
mal passiert sein…
Ja, aber das ist ok. Das habe ich von Thom Yorke gelernt.
Das wichtigste ist, ehrlich zu sich selbst zu sein. Nur so kann man auch zu
seinen Fans ehrlich sein. Und wir haben auch niemanden, der uns reinredet. Das
ist gut. Und ich schere mich auch einen Dreck darum, was irgendjemand von uns
erwartet.
Also was ist deine
persönliche Herausforderung für ein neues Album?
Ich weiß es nicht. Ich habe auch keine Idee, wie das
nächste Album klingen wird.
Eine eigene
Weiterentwicklung z.B.? Man will ja auch nicht gefangen sein, in seiner eigenen
Ausrichtung.
Nein. Wir sind nicht gefangen. Wo denn? In der Progszene?
In welcher Szene
auch immer.
Ich habe aufgehört, darüber nachzudenken, es wäre eh nur
frustrierend. Man kann es eh nicht kontrollieren. Ich habe keine Energie dafür.
Ich gebe auch nicht viele Interviews. Ich freue mich, wenn ich eine positive
Review lese, aber ich würde nichts ändern, wenn sie negativ wäre. Es ist
eigentlich sehr lustig, seine alten Fans zu schocken. Wir haben immer wieder
gehört, dass wir doch machen sollten, was wir auf dem letzten Album gemacht
haben. Das ist nicht deren fucking Business!
Wie entstehen die
Songs in der Regel?
Mit Vinnie und John. Wir stellen uns unsere Ideen vor und
sortieren sie, sortieren sie aus, diskutieren sie.
Und die Songs, die
die anderen nicht mögen, landen dann auf deinem Soloalbum?
Ja, so ungefähr. Songs, von denen die anderen meinten,
dass sie sie im Moment eher nicht bräuchten. Es gibt immer zu viele Ideen. Also
nehme ich mir welche vor und arbeite daran.
Die Songs deines
neuen Albums „Monochrome“ sind also Songs, die du den anderen vorgestellt hast?
Die meisten, ja, aber nicht alle. Manche sind auch
richtig alt. Der Älteste ist von 1998, einer ist von 2000, einer von 2001 – sie
lagen also herum, und dafür waren sie mir zu schade. Aber die Band hatte keine
Verwendung dafür. „Silent Flight“ z.B. ist doch ein guter Song, aber ich
glaube, die Band hätte ihn anders gemacht.
Wäre meine nächste
Frage gewesen… was wäre anders ausgefallen?
„The Excorcist“ wäre sicherlich auch ein guter
Anathema-Song gewesen…
War das ein Grund
für das Album – zu sehen, wie sie klingen, wenn du sie ohne die Band machst?
Nein, ich habe sie einfach gemacht. Ich hab nicht drüber
nachgedacht. Da ist nichts arrangiert.
Also: was ist der
Hauptunterschied?
Ich singe. Und Anneke singt. Aber ansonsten… gibt es
keine großen Unterschiede. Aber „The Exorcist“, „Soho“, „Silent Flight“ – die
hätte die Band auch gut machen können.
„The Excorcist“
ist sehr nah an der Band.
Ja, aber der ist aus dem Jahr 2000. Der Text ist neu.
aber den hätte ich auch gesungen, wenn wir den mit der Band gemacht hätten.
Aber ich brauchte einen starken Opener, also habe ich ihn von der Band geklaut.
Sie haben ihn nicht vermisst. Wir haben so viele gute Songs.
Anneke als
Gastsängerin war eine naheliegende Wahl, nachdem ihr schon immer wieder was
zusammen gemacht habt.
Ja, in den letzten zehn Jahren haben wir ungefähr 40, 50
Gigs zusammen gespielt – mit meinen Songs, ihren Songs, Coversongs – youtube
ist voll davon.
Gibt es Pläne zu
dem Album? Weitere Konzerte z.B.?
Puh. Diese Tournee ist so lang, ich komme gar nicht dazu,
darüber nachzudenken. Und es geht nächstes Jahr noch weiter. Prinzipiell ist da
eine Solotour durchaus möglich, wenn ich ein Angebot bekommen sollte – ich
meine, ich muss ja auch meine Miete bezahlen können – und ehrlich gesagt, wäre
das das einzige, was mich derzeit aus dem Bett holen könnte. Ich bin echt müde.
Wir sind seit zwei Monaten auf Tour, wenn wir hier fertig sind, letzten Monat
waren wir in Südamerika… und ich schlafe nicht besonders gut im Bus.
Da wird man auf
Tournee nicht viel zum Arbeiten kommen, oder? Siehst du die Städte, in denen
ihr spielt?
Songs schreibe ich auf Tournee ohnehin nicht. Nein, ich
habe gerade keine Energie mehr. Ich habe die Städte gesehen. Ich bekomme einen
Eindruck, aber es ist für mich keine Priorität. Mir ist Energieerhaltung
wichtiger.
Gibt es
Zukunftspläne?
Nein. Ich schaffe es nicht einmal, über morgen
nachzudenken. Ich habe heute insgesamt vielleicht knapp zwei Minuten an morgen
gedacht. Oder weniger. Ich lebe im Jetzt. Das ist der Vorteil daran, dass ich
das schon so lange mache, mir gelingt es, mich auf das Jetzt zu konzentrieren.
Ihr habt euch also
auch noch nicht über Zukunftspläne unterhalten?
Es gab ein paar Ideen, aber noch nichts Ernstes. Ein paar
flüchtige Unterhaltungen – aber ich denke, auch die könnte man auf insgesamt 5
Minuten zusammenfassen.
Verbringt ihr so
wenig Zeit miteinander?
Nein, aber wir sprechen nicht über Zukunftspläne. Unser
Vertrag ist ausgelaufen, also hören wir uns gerade Angebote an. Aber viel mehr
gab es auch noch nicht.