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Interview 2009. Ein ältertes Interview von 2006 findet ihr HIER!
„Controlling Crowds“
heißt das sechste Studioalbum der Briten, aber das ist kein angedeutetes
Wunschdenken für die eigene Band, sondern ein großes Werk über den
unbezwingbaren Drang des Menschen, alles auf der Welt um jeden Preis unter
seine Kontrolle zu bringen. Und der Komplexität dieser Thematik begegnen
Archive mit einem fast 80-minütigen Parforce-Ritt im Spannungsfeld zwischen
Elektronik und Rock, HipHop und akustischen Elementen, hell und dunkel, Melodie
und Noise, Aggression und Sphärik. Großes Ohrenkino, über das wir uns mit einem
der beiden Masterminds, Keyboarder Darius Keeler unterhielten.
Ihr habt dieses Mal
etwas länger gebraucht für das neue Album
Ja, mit den letzten Alben hatten wir uns sehr wenig Zeit
gelassen, haben direkt wieder an ein neues gemacht – und das wollten wir dieses
Mal etwas anders gestalten. Dass es insgesamt zweieinhalb Jahre geworden sind,
heißt dabei aber nicht, dass wir die ganze Zeit daran gearbeitet hätten.
Immerhin gab es ja auch noch ein Live-Album dazwischen.
Du meinst aber, dass
die letzten beiden Alben zu sehr in Eile entstanden sind?
Ja, ganz bestimmt. „Noise“ war schon zu schnell, zumal wir
nebenbei noch an einem Soundtrack arbeiteten, aber die Plattenfirma wollte
unbedingt etwas neues. Und als wir „Lights“ gemacht haben, mussten wir uns
schon wieder beeilen, weil Craig die Band verlassen hatte und weil wir so viel
getourt sind – und das Album ein bisschen zwischen Tür und Angel aufgenommen
haben.
Also habt ihr nach
den Tourneen erst einmal eine Auszeit genommen?
Nicht wirklich, eigentlich haben wir mit den ersten
Aufnahmen für das neue Album schon direkt nach der Veröffentlichung von
„Lights“ begonnen.
Das macht es noch
überraschender, dass es so lange gedauert hat.
Ja, wir wollten uns eben Zeit lassen. Und außerdem haben wir
zwei Alben gleichzeitig aufgenommen – Teil 4 der Geschichte. „Controlling
Crowds“ enthält die Teile 1-3 und Teil 4 ist ein eigenes Album, das dann als
nächstes veröffentlicht werden soll.
Das heißt, das
Konzept des neuen Albums wird eigentlich erst mit Teil 4 komplett?
Nein, eigentlich ist die Geschichte mit Teil 1-3 schon sehr
rund, aber Teil 4 ist eine simultane Handlung und ist sehr viel optimistischer.
Es hat eine andere Stimmung, es ist nicht unbedingt eine Auflösung für das
Album. Eine Lösung gibt es für Kontrolle eh nicht, das ist ja eine fortdauernde
Sache.
Was hat es mit dem
Konzept des Albums auf sich?
Es begann damit, dass wir begannen, über Kontrolle
nachzudenken. Das fing schon an mit der Tatsache, dass England in einen Krieg
mit hineingezogen wurde ohne wirkliche Legitimation. Und dann bauten wir das
mit dem Zusammenhang Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft auf und haben das eher auf
einem abstrakten Level behandelt. Ich meine, es geht um unsere heutige Welt,
aber nicht um konkrete Beispiele. Zumindest nicht Dinge, die es schon unbedingt
gibt. Es geht um die Welt, die wir kreiert haben.
Inwieweit erweitert
Part 4 das Konzept noch?
Es ist optimistischer. Und es handelt von Liebe.
„Controolling Crwods“ hat eine Menge Düsterness, und die wird in Part 4
aufgelöst. Und es geht auf eine persönlichere Ebene – wo es ja auch oft um das
Thema Kontrolle geht – und das ist schon eine interessante Wendung.
Würdest Du das neue
Album also als besonders düster bezeichnen?
Ja, ich glaube schon, aber es gibt auch eine Menge Schönheit,
es ist also nicht hoffnungslos düster. Aber wenn wir von musikalischen
Unterschieden sprechen – wir haben eine Menge experimentiert. Mit einem Chor,
einem Orchester, mit analogem Equipment, mit Atmosphären – das hat schon Dinge
verändert. „Bullets“ ist auch etwas ganz besonderes, weil es sehr schnell ist.
Ich glaube, das ist der schnellste Song, den wir je aufgenommen haben.
Eine Neuerung ist
auch der Sprechgesang in ein paar der Songs – man könnte es auch Rap nennen…
Ja, das war eine besondere Herausforderung. Weil wir nicht
wollten, dass es HipHop wird, sondern dass es als Stilelement passt. Denn es
geht immerhin um ernste Inhalte dabei. Und wir waren selber überrascht, dass es
so gut hinein passte. Wir haben allerdings auch sehr lange daran gefeilt. Ich
meine, HipHop war schon immer ein großer Einfluss für uns, aber wir haben uns
immer davor gescheut, das selber auszuprobieren. Aber es hatte damit zu tun,
dass Rosko John zurück in die Band gekommen ist.
Er war zehn Jahre
nicht in der Band…
Ja, das stimmt. Er hatte die Band direkt nach der
Veröffentlichung von „Londinium“ verlassen und wir haben ihn eigentlich auch
zehn Jahre nicht gesehen. Aber er ist ein sehr außergewöhnlicher Mensch und
seine Texte sind sehr inspirierend.
Diese „Pop“-Seite, so
könnte man das ja auch nennen, bringt Euch im Prinzip ein bisschen genau zu
Euren ersten beiden Alben zurück, oder?
In gewisser Hinsicht ja, das stimmt. Aber wir gehen die
Sache heute sehr viel wissenschaftlicher an, aber es gibt definitiv Elemente
aus der Anfangszeit von Archive, und wir sind sehr glücklich darüber.
Du hattest vorhin
schon „Again“ erwähnt – würdest Du den als Euren wichtigesten Song bezeichnen?
Den und „Fuck U“, das sind auf jeden Fall die Songs, mit
denen wir am meisten Aufmerksamkeit erregt haben. „Fuck U“ wurde eine Menge im
Radio gespielt.
Und seid Ihr nicht
immer in Versuchung, etwas so Monumentales wie „Again“ noch einmal zu kreieren?
Nun, wir experimentieren ja immer mit langen Songs, das ist,
was für uns am aufregendsten ist, bauen auf lange Instrumentalpassagen, haben
diese endlosen Wiederholungen, das haben wir schon immer gemacht.
„Lights“ hatte ja
schon einen ähnlichen Ansatz.
Ja, aber der Aufbau ist anders. „Light“ ist sehr simpel,
einer der monotonsten Songs, die wir bislang gemacht haben.
Hatte das mit der
kurzen Zeit zu tun, de ihr für das Album hattet?
Jein, er ist schon so geworden, wie wir vorhatten, aber wir
haben im Endeffekt nicht alle Songs fertig bekommen, die wir wollten. Aber
„Lights“ brauchte diese Umsetzung, immerhin war das ein Song über den Tod.
Archive haben sich
immer schon am ehesten über Sounds und Atmosphären definiert – gleichzeitig gab
es auch schon immer gern gezogene Parallelen zu Mogwai – kannst du die
nachvollziehen?
Es gibt Parallelen, ja. Mogwai hat eine ähnlich hypnotische
Art, Songs aufzubauen, aber sie sind Gitarren-orientierter, Mogwai sind eine
Rockband, wir sind elektronischer, aber auch sehr viel komplexer, sehr viel
experimenteller, abwechslungsreicher auch. Sie sind bessere Instrumentalisten,
aber wir denken mehr über unsere Songs nach. Wir sind auch keine Band, die in
einen Raum geht und Songs zusammen schreibt.
Es gab immer wieder
Änderungen im Line-Up, nicht so sehr zum neuen Album, aber vorher. Inwieweit
haben diese Wechsel Einfluss auf Euren Sound?
Archive sind im Grunde genommen Danny und ich, alle anderen
sind Inspirationen für uns, sie halten die ganze Sache frisch für uns.
Aber der Sound ist
schon von Euch beiden alleine?
Ja, mehr oder weniger. Wir halten die Fäden in der Hand,
aber es ist ein Kollektiv, die sich alle einbringen können.
Gibt es eine Vision,
die ihr mit der Band verfolgt?
Nun, wir denken viel über unsere Songs nach und wie das
Album klingen soll, und ich meine auch, dass das neue Album in vielerlei
Hinsicht ein Höhepunkt für uns darstellt. Das ist, wofür wir leben. Wir kümmern
uns auch nicht um Mädchen oder Drogen, wir gehen allein in unserer Musik auf.
Musik ist für uns Lebensinhalt genug. Ich meine, es ist nicht so, dass ich mich
nicht für Frauen oder Drogen interessiere, aber es nimmt offensichtlich eine
Menge Zeit in Anspruch, wenn man das ernsthaft betreiben will. Und es ist
heutzutage auch nicht gerade einfacher geworden als Musiker, also sollte man
versuchen, Störungen außen vor zu lassen.
Nicht einfacher
geworden… ich habe auch das Gefühl, dass Archive noch nicht wirklich den
Bekanntheitsgrad haben, den sie verdienen…
Ja, ein paar Hitsingles könnten helfen, nicht wahr? Wir sind
nur leider nicht besonders gut darin, Singles zu schreiben. Aber ich habe immer
das Gefühl, dass die Sache ganz langsam immer weiter vorangeht. Wir wollen ja
gar nicht Coldplay sein, aber wir wollen die Sache einfach kontinuierlich
vorantreiben. Und wir freuen uns auf den Herbst, wenn es wieder auf die Straße
geht und wir auch eine ganze Weile auf Tour sein werden!