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Rush Interview
30 Jahre Rush – was
für ein Anlass, der das Trio nach 13 Jahren europäischer Bühnenabstinenz wieder
zurück in unsere Gefilde bringen ließ. Ausverkaufte Konzerte und begeisterte
Reviews waren der Dank ihrer hiesigen Fans (wir berichteten). Diesen Dank
erwidern die kanadischen Rockexperten nun ihrerseits mit der neuen Doppel-DVD
„R30 – Rush 30th Anniversary World Tour“, die nur zwei Jahre nach
ihrem letzten, unglaublichen DVD-Package „Rush in Rio“ ein weiteres, absolutes
Highlight in diesem Marktbereich darstellt. Beinhaltet es doch das Konzert in
Frankfurt 2004 sowie jede Menge Specials aus 30 Jahren Rush-Geschichte. Ralf
Koch sprach mit Sänger und Bassist Geddy Lee.
„Rush in Rio“ sah
mich ja schon sprachlos – nun ist „R30“ ein weiterer DVD-Knaller! Es scheint ja
fast, als wenn das Euer Haupt-Focus geworden wäre...
Geddy Lee: (lacht) Ich glaube, wir haben langsam verstanden,
wie man so ein Live-Ding adäquat umsetzt, jetzt nach ungefähr 400
Veröffentlichungen... Nein ich glaube, das DVD Phänomen – ich weiß nicht, ob es
ein Phänomen ist, aber - insbesondere für eine Live-Band für uns eine wirklich
gute Sache, um die Highlights unserer letzten Tournee den Fans nach Hause zu
bringen. Aber diese beiden DVDs sind ziemlich unterschiedlich.
Absolut, das war, was
ich meinte!
Die erste DVD war eine Art emotionaler Ausbruch, das war
schon ein echtes Spektakel. Mit großen Schwierigkeiten bei den Aufnahmen, wenn
man bedenkt, dass wir so ziemlich jede Kamera benutzt haben, die wir in
Brasilien auftreiben konnten. Was zwangsläufig dazu geführt hat, dass die
Aufnahmen, vor allem der Sound, nicht alle wirklich High-Tech waren. Aber
dieses Mal hatten wir genügend Zeit, alles entsprechend vorzubereiten, ein
professionelles Team und vor allem in Deutschland auch die besten Bedingungen,
um die Show wirklich perfekt einzufangen. Wenn Du so willst, geht es bei der
neuen DVD um Genauigkeit, während es bei der Rio-DVD eher um das Spektakel
ging.
Was war für Dich die
größte Herausforderung auf dieser ersten Europa-Tour seit 13 Jahren?
Nun, ich denke, das wichtigste war, dass wir es a) geschafft
haben, überhaupt endlich wieder nach Europa zu kommen, und b) sogar das
komplette Konzept der Show mit exportieren zu können. Das war in der
Vergangenheit nicht immer der Fall, aber die heutigen technischen Möglichkeiten
haben das erlaubt. Das war nicht leicht, aber ich bin froh, dass wir das
geschafft haben, und dass wir endlich wieder in Ländern spielen konnten, in
denen wir so lange nicht waren. Diese Umsetzung auf die europäischen
Hallenbühnen von der Show, die wir in Amerika in den größten Stadien gespielt
haben, ja ich denke, das war wohl wirklich eine Herausforderung.
Natürlich werden die
Europäer nie verstehen, warum Ihr so lange nicht hier wart, aber ich denke, die
Reaktionen, die Ihr erfahren habt, haben Euch bestätigt, dass es wirklich
dringend Zeit wurde, oder?
Es war toll, ganz klar. Zumal wir ja gar nicht wussten, was
uns erwarten würde. Wir übernehmen die volle Verantwortung dafür, dass wir so
lange nicht da waren, und es war schon sehr erleichternd, zu sehen, dass uns
unsere Fans nicht vergessen haben und uns darüber hinaus auch vergeben konnten.
Das war schon Wahnsinn.
Habt Ihr mehrere
Shows aufgenommen, oder wusstet Ihr von vornherein, dass Ihr die Frankfurt Show
veröffentlichen würdet?
Nein, wir haben nur Frankfurt aufgenommen – was man sieht,
ist was wir haben. Weshalb auch ein Teil der Show leider fehlt, ein paar Songs,
während deren wir ein paar technische Probleme hatten. Aber es sind ja auch so
noch über zwei Stunden!
Gibt es
Nachbearbeitungen? Du sprichst von technischen Problemen - wie wichtig ist eine
perfekte Show für Dich – gerade, wenn man sie für die Ewigkeit fest hält?
Nein, keine Overdubs! Es gibt nur die reine Show. Und die
ist in den seltensten Fällen perfekt – vielleicht 2 oder 3 Shows von 60 sind,
was ich perfekt nennen würde. Aber das macht mir heute nicht mehr so viel aus,
wie vielleicht vor 10, 20 Jahren. Wir gehen jeden Abend raus, und versuchen,
die perfekte Show zu spielen, aber auch wenn es nicht perfekt ist – es ist
live! Und auch die DVD ist eine objektive Bestandsaufnahme von dem, was wir auf
der Bühne bringen. Da sitzt nicht natürlich jedes Haar an seiner Stelle
(lacht).
Wie schafft Ihr es,
diesen Breitwand-Sound als Trio auf die Bühne zu bringen. Oder um ein Beispiel
zu nennen: Wo kommen die Keyboards in „Force Ten“ her?
Das sind Sequences und Samples, die wir auf der Bühne
bedienen, Alex und ich mit den Füßen, und Neil hat elektronische Drum-Pads, mit
denen er die auslöst. Aber jeder Sound, den man hört, auch wenn er vom Band
kommt, ist von uns und muss von uns im richtigen Moment abgespielt werden –
ansonsten gibt´s Timing-Probleme. Wir haben also niemanden, der neben der Bühne
sitzt.
Das heißt, es gibt
Platz für Improvisationen und Spontanität?
Nicht in jedem Song, da sind einige sogar extrem
unspontan... (lacht), aber was immer spontan ist, ist der ´Spirit´ auf der
Bühne, die Live-Situation, die Energie hinter dem Song – die ist nicht jeden
Abend gleich.
Und dieser Europa-Abstecher,
war das jetzt unsere Abschiedstournee, oder können wir auf eine Wiederholung
hoffen?
Ich will´s hoffen! Ich gehe davon aus, dass wir auch mit der
nächsten Tour wieder bei Euch spielen!
Die nächste Tour?
Gibt es schon Pläne für ein neues Album?
Wir fangen im Januar an, neues Material zu schreiben. Und
wenn alles gut läuft, wird daraus ein Album, und mit einem Album werden wir
auch auf Tournee gehen – und das beinhaltet Europa!
Ich habe ein Zitat
gefunden von Alex: „Die Band war immer größer als wir Einzelpersonen“. Ist das
die Rush-typische Bescheidenheit?
Ich denke, diese Einstellung galt für einen bestimmten
Abschnitt in unserem Leben, aber ich würde sagen, sie ist es nicht mehr heute.
Was jeder einzelne von uns in seinem Leben macht, ist mittlerweile wesentlich
wichtiger, als die Band. Das heißt, wenn es einem von uns nicht so gut geht,
ist es wichtiger, dass er das tut, was er will, anstatt um jeden Preis die Band
fortzuführen. Viele Jahre, eigentlich die ersten 20+ Jahre der Band, haben wir
alles in erster Linie für die Band getan. Heute achten wir mehr auf uns als
Individualisten, auf die Familien und auf die Komplexität des Lebens. Und ich
denke, dass wir heute ausgeglichener sind.
Um so überraschender,
dass Ihr bereits im Januar wieder gemeinsam ein neues Album angehen wollt! Ihr
habt, bzw. hattet alle auch Eure Solo-Projekte – die sind aber dann doch nicht
wichtiger, als Rush?
Diese Projekte waren das Ergebnis von den Bedürfnissen
einzelner zu einem bestimmten Zeitpunkt. Alex wollte etwas eigenes machen, also
produzierte er sein Solo-Album. Ich hatte schon lange mit meinem Freund Ben
Mink arbeiten wollen, also schrieben wir ein paar Songs zusammen. Und als sich
dann herausstellte, dass Rush gerade nicht so aktiv waren, machte es Sinn, daraus
ein Soloalbum zu machen. Aber im Prinzip habe ich nicht das Gefühl, nicht all
meine Kreativität bei Rush unterbringen zu können, deswegen habe ich keinen
Frust oder ein Ego, das ich füttern müsste mit einem Soloprojekt. Weshalb ich
auch froh bin, dass es mit Rush gut läuft und wir ein neues Album schreiben
wollen.
Es gab zwar Phasen,
in denen Ihr weniger aktiv wart, aber eigentlich hatte man nie das Gefühl, dass
man Angst haben müsste, dass ihr Euch auflösen würdet. Nach über 30 Jahren
schon eine Leistung!
Natürlich gab es hin und wieder auch Probleme in der Band,
aber ich glaube die schwerste Hürde, die wir gehen mussten, war 1975/76, als
niemand unser „Caress of Steel“-Album zu mögen schien. Wir dachten ernsthaft,
dass wir am Ende wären. Aber wir haben einfach weiter gemacht.
Und seit dem kümmert
Ihr Euch nicht mehr um Kritiken, oder habt Ihr nie wieder so schmerzhafte
Kritik einstecken müssen?
Doch, natürlich kümmert man sich darum. Niemand mag es,
schlechte Kritiken zu lesen. Aber was soll man machen, als sich weiter zu
entwickeln und zu bewegen? Also macht man weiter.
Ist es vielleicht
sogar schwerer, mit so vielen Lobeshymnen bedacht zu werden, wir Ihr in all den
Jahren?
Ja, das ist das selbe Problem. Wenn man zu viel Lob hört,
fängt man an, es nicht mehr zu glauben.
Zu dem Bonus-Material
der neuen DVDs: Ihr müsst ja Tonnen Material haben – wonach habt Ihr
ausgewählt?
Nun, so viel brauchbares Material gibt es gar nicht, vor
allem nicht von altem Material. Wir sind das Material durchgegangen, das wir
hatten und haben gekuckt, was besonders oder schräg genug ist, dass es die Fans
interessieren könnte. Natürlich gibt es noch mehr Live-Material, aber an
richtig exklusiven Sachen ist es das auch schon so ziemlich.
Das heißt, für
kommende DVDs müsst Ihr auf aktuelles Material zurückgreifen...
Ja, oder auf bis zu 10 Jahre alte Sachen....