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Ein neues
Hackett-Album ist immer eine Wundertüte: man weiß nie genau, was einen
erwartet. So ist auch das neue Werk wieder ein Füllhorn an progressiven Ideen,
ein stetiger Wechsel aus lauten und leisen Tönen, eine Mischung aus
bombastischem Rock, Folk, Jazz und Klassik. Ein Album mit Langzeit-Effekt und
Kopfhörer-Empfehlung. Und der Mann, der mit Genesis und GTR Rock-Geschichte
geschrieben hat, nahm sich alle Zeit, uns in Ruhe in seine Welt einzuführen.
Wie würdest Du das
neue Album beschreiben?
Ich hatte eine tolle Zeit, es aufzunehmen, also kann ich
nicht unleidenschaftlich sein, ich kann es nicht objektiv sehen. Als ich es
fertig hatte, habe ich so viele Dinge darin gesehen. Ich bin wirklich zufrieden.
Ich habe es genossen, wieder in einem Team zu arbeiten, und viele der Songs
sind in einem Stück geschrieben worden. Während der Arbeiten daran habe ich
wenig anderen Leuten vorgespielt, sondern habe meine Kreativität fließen lassen
und lieber am Ende das ganze Produkt präsentiert. Das passiert manchmal.
In den 70ern haben wir viel so gearbeitet. Da haben sich die
Plattenfirmen auch noch nicht so eingemischt. Man hat sein Album geschrieben,
es abgeliefert, und es wurde veröffentlicht. So wie es war. Damals hatte man
noch Kontrolle über seine Arbeit. Aber irgendwann fingen die Plattenfirmen an,
von Singles besessen zu sein – und vielen anderen Dingen, die nichts mit Musik
zu tun haben. Irgendwann habe ich fest gestellt, dass wenn ich die Heiligkeit
des Musik Machens bewahren wollte, müsste ich meine eigene Plattenfirma
gründen. Ich musste ein anderes System aufbauen – eigene Plattenfirma, eigenes
Studio, eigener Vertrieb, nur so kann man sein fertiges Produkt anbieten.
Singles sind ein Luxus, keine Notwendigkeit. Wenn das Schicksal sich einer
meiner Songs annimmt, und Spielberg es für seinen nächsten Film haben will,
fein. Aber wenn nicht, dann geht die Welt nicht unter!
Also was kann ich zum neuen Album sagen? Es ist ein Teil von
dem ganzen, das ich mache. Wer dieses Album nicht mag, fein, dann vielleicht
ein anderes. Ich kümmere mich nicht darum, was die Leute davon halten, oder was
sie von mir erwarten. Ich versuche nur immer, die Meinung der Leute zu ändern,
was sie von mir erwarten sollten, denn jedes Album ist anders.
Ja, in der Tat, es gab schon einige sehr unterschiedliche
Alben in Deiner Karriere – was ist Deine Intention, wenn du ein Album
schreibst. Wie entscheidest, in welche Richtung ein Song, ein Album geht?
Ich habe einen Akkord, eine Akkordfolge, ich dudel vor mich,
und irgendwann bildet sich ein Bild daraus.
Alles auf der Gitarre?
Nicht unbedingt. Aber was ich sagen wollte, ist, man
vergisst eine Idee nie. Wenn sie in einer Weise nicht funktioniert, versuche
ich´s auf eine andere Weise. Der erste Titel der CD, z.B.: Ich hatte ein kleines Riff, und ich fragte
mich, wie kriege ich es hin, dass es zeitgemäß klingt, und nicht wie von 1964.
Klimpere ich es? Zupfe ich? Aber es war alles nicht das richtige. Und dann ging
ich runter und stolperte über eine dieser Spiel-Keyboards, ein billiges Ding
mit einem üblen Klang, aber mit einen paar netten Spielereien. Man kann Musik
rückwärts laufen lassen und verschieden schnell, usw. Und ich nahm einen einen
Rhumba-Rhythmus aus der Maschine, klang so ein bisschen Lounge-mäßig. Nee,
dachte ich, das kann man nicht gebrauchen, aber als ich es rückwärts laufen
ließ, klang es plötzlich richtig faszinierend, atmosphärisch. Und in der Art
habe ich noch ein bisschen damit herum gespielt, und es wurde dieser Song am
Ende.
Und was meine textliche Inspiration angeht – das ist eine
andere Geschichte. Ich entschied mich, als übergreifendes Thema für dieses
Album Namen von Plätzen und Straßen zu wählen, die auf irgendeine Art eine
Bedeutung für mich hatten. Strutton Ground, z.B. das war eine Straße in
Victoria, London, in der die Jobvermittlung saß, die mir meinen ersten Job nach
der Schule vermittelte. Es ist die Romantik von Plätzen, die sich durch das
Album zieht. Und all diese Dinge setzen sich zusammen wie ein Puzzle zu einem
Song, zu einem Album. Und ich sag Dir was, und das ist bei jedem Künstler so,
man kann nie vorhersagen, ob irgend jemand etwas mit dem Endergebnis anfangen
kann. Jeder Song ist ein Schuss ins Dunkle. Ich glaube Leuten nicht, wenn sie
sagen, ´ich wusste, das wird ein Hit´.
Nun, ich glaube,
Dieter Bohlen...
Gut, man kann in der Position sein, in der man eine Reihe
von Songs schreibt, die Erfolg haben, und dann kann man auch über einen
Folgesong sagen, ok, dieser Song passt ins Schema, aber man weiß nie, wann das
Spiel vorbei ist, weil im Musikbusiness kann man eigentlich nichts richtig
machen. Man fängt an, Platten zu machen, und wenn man Erfolg hat, kann man
weitere Alben machen. Und dann möchte man experimentieren, man ändert seine
Ziele. Wenn man sich darauf einlässt, nicht immer nach einer bestimmten Formel
zu arbeiten, muss man auch damit leben könne, dass nicht alles ein Erfolg wird.
Ich habe gelernt, mich damit abzufinden. Es gibt Sachen, die waren kommerzielle
Hits, und Sachen, die meine eigenen Hits sind.
Wieviel Zeit Deines
Tages ist von Musik bestimmt?
Ich versuche, jeden Tag etwas zu schreiben. Gar nicht
unbedingt mit einem Instrument, momentan habe ich z.B. keine Gitarre dabei,
aber einen Notizblock. Ich versuche, immer kreativ zu sein. Es gibt Wochen, in
denen ich jeden Tag etwas aufnehme, aber oft lasse ich die Ideen auch einfach
wieder gehen. Oder ich nehme sie mir, wie gesagt, später noch einmal vor.
Nun, Tatsache ist ja,
dass das Album sehr abwechslungsreich ist, deswegen eben meine Frage, wie
entscheidest Du, welcher Song zum Album passt? Oder sind es die Texte, die die
Songs zusammen halten?
Manchmal sind es die Texte. Manchmal ist es einfach das
gleiche Line-Up, mit dem Du den Song aufgenommen hast. Ich mag es, ein großes
Netz auszuwerfen, wie beim Fischen. Man holt eine Menge Fisch herein, und nicht
alle sehen wirklich gut aus, aber irgendwie müssen sie alle an den Tisch
gebracht werden. Früher habe ich darauf geachtet, dass die Songs zusammen
passen, aber ich habe aufgehört, mir Sorgen darum zu machen, dass meine Musik
vergleichbar ist. Und vieles der Musik, die ich von anderen Leuten mag, wäre zu
seiner Zeit vielleicht auch als zu radikal angesehen worden, zu sehr die
Extreme auslotend; jemand nannte mal einen Song, den ich sehr mochte,
dissonant. Ich dachte, er wäre perfekt, und diese Unterschiede im Geschmack
wird es immer geben.
Dissonant und perfekt
müssen sich ja nicht unbedingt ausschließen... King Crimson würden da wohl
zustimmen ;-)
Ja, und es ist dieser Kontrast von Dissonanzen gegen
Harmonie und Auflösung, die am meisten Power hat. Dissonanz alleine finde ich
unbefriedigend, ich brauche immer ein bisschen Frieden in meinem Krieg.
Du sagst, Deine Musik
muss nicht mehr vergleichbar, nicht mehr wettbewerbsfähig sein – liest Du
Kritiken?
Habe ich, ja, aber Kritiken kümmern mich nicht mehr. Ich war
so lange in dem Geschäft, ich habe mich damit abgefunden. Wenn sich Leute
zumindest die Zeit nehmen, überhaupt etwas zu schreiben, zeigt das doch, dass
sie zumindest interessiert sind. Glücklicherweise bin ich bislang von den
tiefen Schlingen der Kritik verschont geblieben. Es ist eine Weile her, seit
das letzte Mal jemand geschrieben hat, dass er mich wirklich nicht mag. In den
späten 70ern, frühen 80ern habe ich die härteste Kritik erfahren. Ich glaube,
was die Leute versucht haben zu sagen, war, dass es nicht konstruktiv genug
war, nicht anarchisch genug. Ich glaube, es wurde oft als zu kompliziert
empfunden, zu unzugänglich. Und ich kann diese Gedanken von damals durchaus verstehen.
Es war die Zeit des Punk, lauten Gitarren und direktem Rock, der auf die Bühne
gebracht wurde, das war die Zeit damals.
Noch einmal zur
Wettbewerbsfähigkeit – hast Du eine Zielgruppe vor Augen, wenn Du ein Album
aufnimmst?
Ja, habe ich. Die Leute, die ich in den letzten Jahren
versucht habe, zu erreichen, waren die, die sich weniger darum gekümmert haben,
wie das Ergebnis im Endeffekt klingt, sondern dass etwas dahinter steckt, etwas
was nicht greifbar war, aber erkennbar. Musik, die detailreich war, zwar
manchmal von der Technik bestimmt, aber nicht zu viel. Ich kann schnell Gitarre
spielen, aber ich mache das nicht die ganze Zeit. Es ist wichtig für mich, mich
nicht auf meine Technik zu verlassen, sondern auf gute Ideen. Manchmal verlangt
die Musik, dass sich der Musiker aufführt wie ein olympischer Sportler, aber
ich finde das zu anstrengend zu hören. Man muss nicht immer beweisen, dass man
ein guter Spieler ist. Mittlerweile mag ich es, wenn man das Tempo zurücknimmt.
War das früher
anders?
Wenn man als junger Gitarrist anfängt, will man immer etwas
beweisen. Als ich 18 war, klang ich glaube ich wie Joe Satriani. Satriani hatte
mal ein Album, „Surfing with the Alien“, und ich klang früher genauso. Ich habe
genau verstanden, warum er mit dem Album Erfolg hatte, weil es genau so war,
wie ich früher klingen wollte.
In letzter Zeit bist
Du verstärkt zu Deinen Genesis-Wurzeln zurück gekehrt – Du hast nicht immer
Genesis Songs live gespielt, oder?
Nein, jahrelang nicht. Mal einen Song, „Horizon“, ein Song
den ich geschrieben hatte, als ich noch bei Genesis war, also war es ein
bisschen ein Genesis Song, aber eben eigentlich ein Song von mir. Aber mit den
Jahren hat sich das geändert. Ich erinnere mich an einen Gig in den frühen
90ern, als ich gerade einen neuen Song spielen wollte, und aus dem Publikum
rief einer nach „Supper´s ready“. Und ich weiß, dass ich dachte, dass ich
wünschte, die Leute würden nicht danach fragen, weil ich ja mein neues Material
präsentieren wollte. Aber dann erkannte ich, dass das, wonach sie fragten, eine
andere Seite von mir war. Also warum sollte man das so strikt trennen? Also
fing ich immer mehr an, diese Sachen für mich wieder zu entdecken. Einfach,
weil es vieles dieser Musik nicht gegeben hätte, wenn ich nicht dabei gewesen
wäre.
Und im Endeffekt gab
es wohl auch kommerzielle Gründe, oder?
Ich habe dieses Genesis Revisited Album gemacht, und ich
dachte noch, die Kritiker würden mich dafür zerreißen, weil es doch einfach zu
offensichtlich war, oder? Aber die Wahrheit ist, es öffnete mir eine Vielzahl
von Wegen, und e öffnete eine Menge Dinge in mir selbst, ich fühlte, dass ich
frei wurde, die Zukunft zu erleben, indem ich die Vergangenheit wiedererlebte.
Ich merkte, dass die Zukunft mir mehr geben konnte, wenn ich meinen eigenen
Schatten nicht verneine. Es war also ein sehr, sehr interessantes Album für
mich. Ich konnte Versionen von Songs machen, so wie ich sie wollte, was ich
früher nicht unbedingt so konnte.
Stücke wie „Circus of
Becoming“ oder „The Silk Road“, meiner Ansicht nach durchaus Stücke mit
Genesis-Reminiszenzen, sind doch auch ein Schritt auf die alten Fans zu, oder?
Findest Du? Da würde ich eher „Mechanical Bride“ nennen.
Das ist eher King
Crimsonesque...
Und Stan Canton und John Coltrane und viele Leute vor King
Crimson genauso wie Genesis und „Selling England by the Pound“, denke ich.
Das ist die
dissonante Seite?
Ja, und Big Band Jazz.
Wenn wir schon von Genesis sprechen – es gab seit der
Archive-Box einiges an Diskussionen über die Möglichkeit, wieder etwas zusammen
zu machen, klar mehr von den Fans gewünscht, als von der Band geschürt... -
aber eine Sache, die man vernehmen konnte war eine Zusammenarbeit der alten
Besetzung – hättest Du daran Interesse?
Ich hatte eine Unterhaltung mit Tony vor ein paar Wochen,
und ich fragte ihn, ob er meinte, dass eine Reunion passieren könnte. Er sagte,
wenn Phil das gefragt wird, sagt der immer ´ja, das ist möglich´, aber Tony
sagte, er glaube nicht, dass er das wirklich meint. Im Endeffekt sagte ich ihm
hinterher, dass es an mir nicht liegen sollte.
Aber Du glaubst nicht
daran?
Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, warum plötzlich alle
wieder zusammen kommen sollten. Vielleicht sollte jeder sagen, er wäre
interessiert, wenn der und der wieder dabei wäre. Und wer weiß, vielleicht ist
das der beste Weg, dass wir überhaupt dahin kämen. Ich denke, man müsste diesen
Weg der umgekehrten Psychologie gehen.
So viele Band
reformieren sich heutzutage...
Ja, ich glaube, ich habe mir dank Dir gerade eine gute
Strategie überlegt, wie man das angehen könnte. Man muss jeden einzelnen
ansprechen, und ihm sagen, ich würde es machen, wenn DU dabei wärst, und damit
jeden weiteren anstecken, und wenn es dann jeder macht, dann könnte es klappen.
Aber in der Zwischenzeit gibt es noch viele andere Sachen, die angegangen
werden wollen. Ich meine, vielleicht würde es ja auch eine Riesen-Enttäuschung
werden... Aber derzeit sind wir alle
noch fit, jeder macht noch Musik – die Frage ist nur, ob man noch als Team
wieder zusammen finden könnte. Könnte vielleicht nicht gleich beim ersten
Treffen klappen.
Nach Genesis hattest
Du ja auch noch GTR – gibt es eine Chance für derartige Projekte, oder gibt es
jetzt nur noch den Solokünstler Steve Hackett?
Eine solche Zusammenarbeit ist oft nicht mehr als ein Name.
Ich meine, viele der Sachen sind im Endeffekt doch nur umbenannte
Solo-Prokjekte. Ich hätte dem neuen Album leicht einen Bandnamen geben können,
weil es eine Band war, die es aufgenommen hat. Aber manchmal denke ich auch, es
wäre nett, eine Band zu haben neben meiner Solotätigkeit, nur im Endeffekt ist
es beides gleich arbeitsintensiv. Also was wäre der Wert davon? Ich meine, ja,
vielleicht wäre es auch ganz interessant, die Diktatur mal gegen ein bisschen
Demokratie einzutauschen.
Hörst Du Radio?
Ja, aber es ist nicht besonders aufregend. Es gibt kaum
wirklichen Rock in England, Rock mit Substanz, meine ich. Rock, der Dich
bewegt, der innovativ ist.
Kennst Du aktuelle
Progressivrock-Sachen?
Ja, hin und wieder kriege ich was mit. Ich habe Spock´s
Beard gesehen. Und Transtlantic. Sie haben die ganze Seite 2 des „Abbey
Road“-Beatles-Albums gespielt. Und das sagte doch was aus, das war wirklich
progressiv, die Beatles haben doch eingeführt, was Progressivrock ausmacht. Ich
meine, immerhin war „Abbey Road“ früher als „Supper´s ready“ und „Lamb lies
down on Broadway“.
Hörst Du Dir Deine
eigenen Platten an?
Ja, am meisten, wenn ich sie gerade fertig gestellt habe.
Und dann lege ich sie eine Weile weg, und höre sie mir später wieder an, um zu
sehen, was man hätte ändern können. Ehrlich gesagt, glaube ich, dass ich mich
lange genug mit dem Album beschäftigt habe, um später mal nicht viel daran
ändern zu wollen, weil ich sehr genau darauf geachtet habe, welche Details wo
und wie stehen. Alles was man ändern könnte, wären die Songs, aber wie gesagt,
das ist der Grund, warum ich permanent im Studio arbeite. Ich bin immer darauf
vorbereitet, ein neues Album fertig zu haben, wenn eins gewünscht wird. Stell
Dir vor, dieses Album wird ein Riesenhit, dann habe ich ein weiteres, das ich
nachschieben kann. Just in case, dass dieses das „Sergant Peppers“ oder Dark
Side of the Moon“ der heutigen Zeit wird. Ja, das wäre doch was. Ich könnte mit
50.000 Tonnen Equipment auf die Bühne gehen, mit Tänzerinnen an der Seite
(lacht). Ja, das könnte interessant werden.