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Voyager IV: Pictures at an Exhibition
Interview Januar 2020
Ich war nie so der
ELP Fan – aber der muss man für dieses Projekt auch gar nicht sein, oder?
Eigentlich gar nicht, denn sowohl ELP als auch wir beziehen uns ja auf Mussorgski und die haben quasi auch gesagt, sie nehmen die
Melodie, drehen sie um und spielen sie rückwärts – machen also etwas komplett
neues draus. Und ich glaube, den Ansatz hatten wir auch.
Die Gemeinsamkeit ist, dass wir die gleiche Besetzung haben
– Keyboard und Klavier dominiert – und die wilden, ekstatischen Sachen des Keyboards
werden konterkariert mit Gesang, der den Ausgleich schafft, also dieser
Kontrast aus ruhigen Balladen und wilden Instrumentalparts.
Nun, so wild wird es
bei euch ja nicht… erst recht nicht im Vergleich zu ELP.
Nein, das stimmt, das Stück „Gnomus“ ist das wildeste,
ansonsten gibt es eher Jazzrock-Bezüge. Ich glaube, ich habe im Gegensatz zu
ELP auch eher den Jazz-Hintergrund und da war es mir wichtiger die 70er zu
zitieren – Zawinul (Weather Report, Anm. de. Red.), George Duke, Herbie Hancock
– für mich war es das Sammelbecken für die Keyboarder die mich persönlich
beeinflusst haben. Und mir ist aufgefallen, dass es momentan großartige
Klavierspieler gibt, aber keine charakteristischen Keyboardspieler.
Das wären zum
Beispiel?
Brad Mehldau ist super, Robert Glasper mit seiner Mischung
aus Hip Hop und Jazz, das sind momentan die modernsten. Das Esbjörn Svensson Trio
war natürlich auch wegweisend, aber der ist ja leider verstorben.
Und was fehlt dir bei
den Keyboardern? Da gibt es ja gerade im Progressive Rock auch einige…
Ja, es gibt viele gute Keyboarder, aber gerade was die
Sounds angeht, fehlt mir das Besondere. Wenn du dir frühere Sachen von Jan
Hammer anhörst, den hast du nach drei Tönen herausgehört. Heute hast du durch
die Vielzahl der Sounds und den unendlich vielen Möglichkeiten viel mehr
Beliebigkeit.
Ich habe viel experimentiert mit Klaviersounds, die ich mit
Distortion-Synthesizersounds verändert habe. Eine Idee, die auch Jan Hammer gemacht
hat, Moog durch Gitarrenverstärker gejagt und damit einen ganz besonderen Sound
erzeugt.
Hast du einen
einzigartigen Sound?
Puh, Ich fürchte, das müssen andere entscheiden. Ich
versuche halt, irgendwas zwischen Klavier und Synthesizer zu machen – und da
gibt es zumindest sehr wenig.
Du sagtest vorhin, ihr
habt – wie ELP – auch keine Gitarre… d.h. das, was bei euch wie Gitarre klingt,
ist auch von dir?
Ja, das spiele alles ich. Das kommt durch den
Gitarrenverstärker, durch den ich das jage. Als Teenager habe ich viel
Gitarristen gehört und wollte eigentlich Gitarrist werden – aber ich war auf
dem Klavier schon zu gut.
Da lohnte es sich
nicht mehr, das zu wechseln?
Genau. Ich habe auch den Barré-Griff nie geschafft. Aber ich
habe halt gemerkt, dass ich meine Bontempi-Orgel an den Gitarrenverstärker
anschließen kann – und dann klingt das fast genauso. Da war ich total
begeistert, dass ich mit viel weniger Aufwand – und ohne Barré-Griff den
Gitarrensound zaubern konnte.
Aber die Gitarristen
kriegen immer die Mädchen, oder nicht?
Ja, genau, da sei auch Frank Zappa zitiert, der sagte, dass
die Keyboarder darauf immer neidisch wären, deswegen hätten sie auch das
Umhängekeyboard erfunden. Und ich habe tatsächlich auch so ein Ding und benutze
das auch bei einem Stück. Aber ich hab da eine Konfettikanone drangebaut. Ganz
im Sinne von Frank Zappa… (lacht)
Inwieweit geht es bei
dem Album – ob von Mussorgski, ELP oder von euch –
eigentlich um eine konkrete Ausstellung?
ELP haben den Namen verwendet und drei Bilder benutzt, wir
haben auf dem Album acht Bilder und jetzt live auch die beiden weiteren dazu genommen,
also bei uns ist es quasi ein Konzeptalbum. Das ganze kommt im Original Modest Mussorgski vor 175 Jahren den Tod seines Freundes, des Malers
Victor Hartmann betrauert und hat daraufhin diesen musikalischen Zyklus
geschrieben. Und neben ELP haben ja auch Maurice Ravel und der Japaner Tomita
großartige Versionen dieses Stückes variiert. Und ich mache zwar ein bisschen
Show wie ELP das auch getan haben, aber meine Grundlage sind eben eher diese
Jazzrock-Ikonen der 70er.
Und die Bilder sind
die Grundlage für eure Songs?
Ja, dieselben Bilder. Und ich denke, dass meine Versionen
auch viel näher an Mussorgski Original sind, als ELP.
Zeigt ihr die Bilder?
Nein. Es sind auch gar nicht mehr alle erhalten. Im Internet
findet man einen Teil davon, aber es sind gar nicht alle überliefert. Aber ich
finde das auch schöner so, dass man seine ganz eigenen Bilder entstehen lassen
kann. Wenn du dir diesen „Gnomus“ vorstellst – das sind ja im Original alles
alte russische Märchenfiguren – oder „Baba Yaga“, z.B., diese Hexe mit
Hühnerfüßen, ein ganz tolles Bild, das sich wunderbar in Kopfkino verwandeln
lässt. Oder „Catacombe“, in dem ich Glasharfensounds verwende – das Album habe
ich ja meinem alten Bassisten Bass Redmeier gewidmet und da insbesondere diesen
Song, „In Lingua Mortua“ (in der Sprache der Toten), das ist für mich ein sehr
wichtiges Stück, weil ich da auch an Bass denke und mit diesem Song seinen Tod
irgendwie weiter verarbeite. Da spiele ich live auf einer Laserkamera – eine
Technik die Jean Michel Jarre mal entwickelt hat. Ein toller Live-Moment.
Welche Rolle spielen
dann die Texte dazu?
Das müsstest du jetzt Johannes fragen, aber vielleicht soviel dazu von mir –
die Themen der Bilder sind ein Ausgangspunkt für seine Texte, aber sie führen
ein Eigenleben. Er hat sich eben genauso inspirieren lassen. In „Il Vecchio
Castello“, dem verwunschenen Schloss, geht es eigentlich um das Schloss in
deinem eigenen Kopf. Johannes war als 16-jähriger mal eine Zeitlang blind, weil
er sich bei einem Chemieversuch die Augen verätzt hat – und vier Wochen lang
nur auf seine Ohren angewiesen war. Das war sein Ausgangspunkt für dieses
Schloss, diese Mauern um ihn herum.
Dann gibt es einen
Song wie „Lucky Man“ – das ist dann euer Tribut an ELP?
Das ist dann wiederum der Bezug zu ELP, ja. Da war mir aber
ehrlich gesagt der Text noch wichtiger. Wir haben da auch ein Nixon-Zitat
eingebaut, was ein interessanter Bezug zu Donald Trump ist, der eigentlich ein
moderner Nixon ist, der auch Kriege anzettelt – und deswegen haben wir den
Nixon am Ende zitiert – allerdings rückwärts.
Ich höre aus deinen
Worten die Begeisterung für dieses Projekt – aber so wie du eigentlich in
deinen anderen Projekten verhaftet bist, denke ich, dass du eigentlich gar nicht
so viel Zeit darauf verwenden kannst, wie du vielleicht möchtest, oder?
Ja, das stimmt. Da wir im Beethoven-Jahr sind, habe ich ganz
viele Auftritte mit dem Marcus Schinkel Trio – auch international, in
Lateinamerika, Costa Rica, China, Rumänien, in Rom in der Botschaft da ist
richtig viel los. Und dieses Crossover Beethoven Ding ist ja auch ein bisschen
der Ausgangspunkt für Voyager IV – verjazzte Klassik. Das hatte ich das erste
Mal 1999 gemacht als in Bonn der Deutsche Bundestag verabschiedet wurde. Da
hatte ich gemerkt, dass das meine Wurzeln sind, weil ich als Kind viel Klassik
gespielt habe, aber dann immer verändert. Und dann wollte ich das eben auch mit
Mussorgski machen, nur mit mehr Rock drin.
Das Trio ist also mit
Fritz und Wim, Johannes ist erst für Voyager IV dazugekommen?
Ja, das war ganz witzig, das war ursprünglich mal ein Klavierschüler von mir.
Er hat aber nie geübt, was er sollte, sondern immer seinen eigenen Kram
gespielt. Und das hat er mir davon etwas vorgespielt. Das war nicht so meins,
aber ich fand den Sänger gut – und er sagte, das wäre er. Nach dem Tod von
Keith Emerson wollte ich gerne ein Tributkonzert machen und fragte ihn, ob er
Lust hatte, da als Sänger mitzumachen. Und er sagte ja, aber eigentlich hätte
er weniger Lust auf Tributebands, als etwas Eigenes zu machen. Und so nahm das
seinen Lauf – und jetzt führen wir diese Band gemeinsam. Und das ist sehr
fruchtbar. Ich schickte ihm etwas, er schickte etwas anderes zurück und man
kann sagen, dass wir dieses Album gemeinsam gemacht haben.
Dabei ist das für
Johannes auch nur eine Nebenbeschäftigung – er ist eigentlich Arzt!
Ja, Neurochirurg für ganz komplizierte Fälle. Er hat
promoviert mit Mikrochips, die man tauben Leuten ins Gehirn eintransplantiert.
Aber er war auch immer schon zweigleisig. Mit 20 hat er sich entschieden,
Medizin zu machen, aber stand auch kurz davor, Profimusiker zu werden.
Es gibt Leute, die
haben einfach Begabung…
…die so als Kind in einen Zaubertrank gefallen sind. Johannes
kann auch nicht stillstehen der spielt Schlagzeug, Saxofon, ein bisschen
Klavier, Gitarre, ich glaube der schläft auch nur 5, 6 Stunden pro Nacht.
Trotzdem wird dieses
Album erstmal ein One-Off-Projekt bleiben?
Nicht unbedingt. Natürlich wird es noch ein bisschen dauern,
bis dieses Ding noch etwas bekannter ist, aber ich habe letztes Jahr mal in
Honduras mit einem kleinen Orchester gespielt und dachte mir schon das wäre
etwas, womit man dieses Projekt auch auf eine neue Stufe heben könnte. Diese CD
neu zu arrangieren für ein Orchester – mordmäßig viel Aufwand, aber ich habe
Blut geleckt und würde mir das schon zutrauen. Wir haben so viele Orchester in
Deutschland, die müssen sich eh öffnen für ein neues Publikum. Ich habe auch
den Eindruck, dass die da auch Lust zu haben. Aber dafür braucht man Leute, die
das unterstützen wollen – und genau dafür ist auch diese Tournee erst einmal
gedacht. Das ist erstmal ein Anfang, vorläufiges Finale wird am 13.8. beim
3ecksplatz-Festival in Gütersloh sein