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"Ich suche einfach das
Spezielle in der Musik"
Hazelwood Records setzen auf
musikalische Vielfalt – und achten dabei eigentlich nur auf Qualität
Vorurteil 1: Große Plattenfirmen (sogenannte "Majors") schöpfen von allem die Sahnekrone, sprich das Erfolg versprechendste, ab und sind dementsprechend präsent in jeder Sparte – und wenn's optimal läuft, damit auch (kommerziell) erfolgreich. Vorurteil 2: Kleine Plattenfirmen ("Indies") spezialisieren sich gerne in einem bestimmten Musikgenre, vorzugsweise dem eigenen Musikgeschmack entsprechend, um sich selbst zu einem Profil zu verhelfen, sowie um sich nicht in einem Genre zu verzetteln, von dem man nur begrenzt Einblick hat. Leuchtet ein. Was aber, wenn man keinen spezialisierten Musikgeschmack hat, bzw. dieser sehr weit gefächert ist, und trotzdem ein Label startet?
"Musik ist für mich einfach ein ganz breites Spektrum – und das war es auch schon immer. Ich schätze John Coltrane genauso wie Duke Ellington oder Sonic Youth und die Dead Kennedys. Für mich ist die Aussage hinter den Künstlern das Entscheidende, und die Musikrichtung nur eine Ausdrucksform", erklärt Wolfgang Gottlieb die Auffassung seiner Aufgabe als Labelchef. Als einer von vieren, um genau zu sein. Und an seiner Seite stehen drei weitere, die nicht nur eine ähnliche Sichtweise mitbringen, sondern die auch über ein ähnliches Potential an Kreativität und Musikverständnis verfügen. Denn das Label Hazelwood ist mehr als nur ein Büro, in dem Verträge für zu veröffentlichende Platten gemacht werden.
Das Label Hazelwood Vinyl Plastics, beheimatet in Frankfurt/Rödelheim startete offiziell 1996 als logische Konsequenz einer Kollaboration der Musikfans und Produzenten Gordon Friedrich, Denis Gudlin, Jan Schönewolf und Wolfgang Gottlieb, die sich bereits mit verschiedenen Aufnahmen und Produktionen sowie einzelnen Veröffentlichungen einen Namen gemacht hatten, diverse Kontakte geknüpft hatten und damit endlich an die breite Öffentlichkeit wollten. Großes Vorbild zu dieser Zeit: das amerikanische Label SST, die ähnlich wenig festgelegt waren auf ein bestimmtes Genre: "Die hatten Schrammelbands wie Sonic Youth oder Dinosaur Jr genauso wie Hardcore mit Bad Brains aber auch Jazzbands und sogar Countrybands. Das Einzige, was diese Bands einte, war die Tatsache, dass man alle SST-Veröffentlichungen ungesehen kaufen konnte – vorausgesetzt, dass man ähnlich offen ist", ereifert sich der Musikfan Gottlieb. "Genre und Herkunft interessieren uns nicht, es geht um Persönlichkeiten und Originalität. Die Amerikaner kennen das Schubladendenken einfach nicht so, für die gibt es nur gute Musik und weniger gute."
Wie schon die Anfänge von Hazelwood das Zur-Verfügung-stellen des eigenen Studios und das Austauschen von Ideen war, ist auch die Beziehung des Labels und seiner Bands geradezu familiär. "Der Vorteil unserer zentralen Lage ist, dass die Musiker immer mal vorbei kommen, wenn sie in der Nähe oder auf Tournee sind", so Gottlieb. "Viele haben auch einen Schlüssel und pennen einfach mal bei uns." Auf diese Weise kommt es auch immer wieder zu spontanen Projekten und Kollaborationen. Wichtigstes Fundament für die Zusammenarbeit ist ein sehr starkes Vertrauensverhältnis. Denn das Produzententeam bringt sich gerne als "5. Mann" in die Band ein. "Wir haben viele Künstler mit Talent und Ideen in Rohform. Und dann erfinden wir jede Band, die zu uns kommt, quasi neu. Wir arbeiten sehr stark mit dem Künstler zusammen, gehen immer vom Grundmaterial aus und versuchen, das Potential, das wir erkennen, herauszuarbeiten, und das Beste aus dem Songmaterial herauszuholen. Dabei hilft schon ganz viel, dem Künstler erstmal zu erklären, was er nicht mehr tun sollte. Wichtig ist, dass die Musiker ihre Eitelkeit hinter den Song stellen. Da die Band aber ja jede Entscheidung mittragen muss, ist eine Platte vor allem ein Gemeinschaftsprojekt", so der Kreativgeist Gottlieb.
Die vier Labelbetreiber - Jan Schönewolf wurde mittlerweile von Pete Loisell ersetzt – sehen sich dabei grundsätzlich alle als Mädchen für alles. Kreative Entscheidungen werden von allen mitgetragen, nur darüber hinaus gibt es Aufteilungen der Aufgaben des Labels, Tonstudios und Musikverlages. Dennis übernimmt den Schwerpunkt der Administration, der Amerikaner Pete übernimmt neben der Studioarbeit viele der "Auslandssachen" während Gordon und Wolfgang für das ganze Kreative zuständig sind – im Studio, bei der Produktion, bei den Covern, Filmen usw. Die Qualität und Hingabe ihrer Arbeit ist mittlerweile weitläufig bekannt, neben Musikern wie Barry White oder Lemmy von Motörhead nehmen auch große Labels wie EMI oder Universal ihre Dienste in Anspruch.
Eine Band, die nicht nur zu den erfolgreichsten des Labels gehört, sondern die auch die vorhandene Vielseitigkeit perfekt widerspiegelt, ist Mardi Gras.bb – ein Musikphänomen, das aus Mannheim kommend amerikanischer klingt als manche ihrer US-Kollegen und sich auf jedem ihrer Alben einem neuen musikalischen Schwerpunkt widmet. Seit dem 70s-mäßigen Funk/RnB-Album "Supersmell" ging es über Country ('02), NY Disko Style ('03), 20er-Jahre ('04) bis zum Singer/Songwriter-Album "The Mighty Three" ('05) im Stile Neil Youngs oder Bob Dylans. "Diese Band ist ein bisschen wie wir, absolut nicht auf einen Stil festgelegt. Es wäre ja auch als Künstler relativ uninteressant, sich immer wieder zu wiederholen", führt Gottlieb seine Definition von Weiterentwicklung weiter aus. "Ich liebe einfach diese Vielfalt. Und so unerfolgreich sind wir ja auch nicht, wir waren ja mit Mardi Gras.bb auch für drei Alben bei Universal, und die haben in Kanada auch schon vor 60.000 Leuten gespielt. Manche Leute nennen das seltsam. Ich suche einfach das Spezielle in der Musik."
Und so hört er sich auch weiter selber durch die eingesandten Demos, anstatt einen Praktikanten mit dieser Aufgabe zu betreuen, geht im Büro auch noch selber ans Telefon und weiß genau, dass man mit dieser Einstellung zwar nicht reich, aber sehr, sehr glücklich werden kann.