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t: Thomas Thielen
Interview 2015. Ein älteres Interview von 2013 gibt es hier!
„Fragmentropy“ – schon der Name des neuen Albums ist
typisch t. Komplex. Mysteriös. Konstruiert. Und doch wohlklingend. Zwei Jahre
Produktionszeit stecken im Album, was verdammt wenig ist, wenn man überlegt,
dass Thomas Thielen nicht nur alleine schreibt, sondern auch die Aufnahmen und
die Produktion allein in seinen Händen liegt. Und dabei geht es um weit mehr,
als die Aufnahmetaste zu drücken und die Instrumente einzuspielen… aber das
erzählt der Multiinstrumentalist lieber selbst. Ralf Koch stellte die Fragen.
2 Jahre
Produktionszeit scheinen mir nicht unbedingt viel für ein „Nebenbeiprojekt“,
oder?
Das Album floss ziemlich gut. Das lag vielleicht daran
diesmal, dass mir die Geschichte von Anfang an ziemlich klar war; sie war schon
während der Arbeit an Psychoanorexia entstanden. Auch die Welt, in die ich
diesmal mit den Metaphern eintauchen wollte, hatte ich bereits ausgewählt. Dann
kann man recht schnell in den Lyrics vorankommen - und bei mir ist die Musik
dann relativ schnell komponiert, weil ich ziemlich genau weiß, welche
Stimmungen ich kreieren möchte. Nur mit Ziellosigkeit oder Mäandrieren kann ich
nicht so gut umgehen, und das war bei Anti-Matter Poetry echt ein Problem. Das
und meine damalige Expertise als Schurke im 2on2 in World of Warcraft...
Wieviel
„Nebenbeiprojekt“ ist es denn für dich?
Es ist emotional natürlich immer wieder eine
Herzensangelegenheit, sonst würde ich es gar nicht hinkriegen. Ich arbeite ja
immerhin an zwei Fronten in der Schule und in der pädagogischen Psychologie,
hab ne Familie inklusive kleiner Tochter und bin sportverrückt. Ich bin
inzwischen ganz gut darin, auch auf Autofahrten oder so im Kopf zu komponieren,
zu strukturieren usw. Außerdem bringt mein Job mich an unheimlich viele
Eindrücke heran, sorgt dafür, dass ich mich immer wieder für neue Bereiche
interessiere: Ich sehe alle Fächer der Schullandschaft auf Abiturniveau und
lese Entwürfe, die auch die fachdisziplinäre Seite referieren müssen. Da bin
ich schon privilegiert, finde ich: Gleichzeitig ist es ein Muss, in diesen
Dingen dann auch so fit zu sein, dass ich dem Sportlehrer der 5. Klasse ebenso
wie dem Mathelehrer in der 12. etwas Konstruktives und Hilfreiches zu seinem
Unterricht sagen kann – andererseits entstehen daraus private Interessen und
eben auch Bilderwelten für meine Texte und Musikstücke.
Hattest du ein
bestimmtes Ziel, z.B. das Album als Reaktion auf das Vorgängeralbum?
Ich sage jetzt "Nein", weil das nicht bewusst
so war, also kein Ziel, mehr ein Gefühl. Ich würde lügen, wenn ich leugnen
würde, dass ich allerdings ein bisschen Bammel vor dem Album nach
"Psychoanorexia" hatte, das ich für meinen besten Versuch bis dahin
hielt. Das hat mich dann ganz schön kritisch gemacht, was das Arrangement z.B.
anging: Alles sollte eben NICHT wie Psy II klingen! Da ich "A Sky High
Pile of Anarchy" aber schon 2 Tage nach dem Erscheinen von Psychoanorexia
praktisch fertig hatte, war es nicht so schwierig, nicht zu verkrampfen. Aber
wenn du nach dem Ziel fragst: Ziel war es, auch diese Geschichte angemessen zu
erzählen.
Das Album scheint
die schönen Momente des Vorgängers aufzugreifen, ist aber (wieder) sperriger,
unvorhersehbarer, oder?
Findest du? Ich habe während der gesamten Zeit, wenn ich
Dominik mal was vorgespielt habe, den Eindruck gehabt, viel zu banal und poppig
zu sein. Es gibt so viele locker-humorige Passagen! Ich warte ja immer noch auf
den Moment, in dem ich ertappt werde: Eigentlich sind das doch alles nur
mehrere ineinander verschachtelte Popsongs... Also, mir scheint das eher simpler
geworden zu sein, melodiöser, zugänglicher. Aber ich kann es auch bestimmt am
schlechtesten beurteilen.
Einigen wir uns
darauf, dass es vielleicht beides ist? Wie gesagt, es greift eben auch die
melodischen Momente wunderbar wieder auf. Vielleicht habe ich aber ja auch dein
letzten Album nur falsch verstanden – oder es hat mich auf dem falschen Fuß
erwischt. War das vielleicht gar nicht melodischer & harmonischer?
Ich finde nicht, dass wir uns da einigen müssten! Das
Großartige ist doch, dass es für dich das eine und für mich das andere sein
kann. Wenn die Musik und die Lyrics so eindeutig wären, dass sie in so kurzer
Zeit erschöpfend zu deuten wären, wäre das ein sicheres Indiz dafür, dass das
Album sehr schnell abgenudelt wäre. Ich hoffe aber, dass das nicht der Fall
ist.
Ich hatte dein
Harmoniebedürfnis beim letzten Mal auf deine neue Vaterrolle geschoben – wie
geht’s deiner Tochter? Und dir als Vater?
Beiden prächtig. Ob das aber was mit der Musik zu tun
hat? Ich bin nicht so sicher. Ich fand deine Einschätzung, dass mein bisher
politisch-polemischstes Album so harmoniebeladen sei, schon damals sehr
interessant; mein eigener Eindruck war konträr – immerhin geht es um zwei
Leute, die den Draht zueinander verlieren, weil sie immer weiter aus ihrem geistigen
Leben zurücktreten und an geistiger Magersucht verenden... Dieses Mal geht es
um das destruktive Zusammenspiel aus fragmentiertem Selbst und der normativen
Macht des Zeitgeists. Ein tragisch angelegter Dreiakter in der Metaphorik von
Quantenphysik, systemischer Psychiatrie und Spieltheorie... Ich führe wirklich
ein äußerst harmonisches Privatleben mit einer Ehe, die besser ist, als ich mir
je hätte träumen lassen, aber in der Musik? Robert Smith hat mal gesagt, in der
Musik sei er gerne gewalttätig. Sowas.
Chapter 1-3 klingt
verdächtig nach Konzept? Und wer sind Romeo & Nora, Cynderella &
Clyde?! Möchtest Du etwas dazu erzählen?
Soll ich das echt vorwegnehmen? Shakespeare, Ibsen, die
Brüder Grimm, Warren Beatty's Film... das ganze Album wimmelt von Anspielungen.
Ich habe mich in den letzten zwei Jahren z.B. mit Post-Einstein-Physik,
Spieltheorie, Systemtheorie, Differentieller Psychologie und diversen schrägen
Poeten beschäftigt. Alles, was davon hängengeblieben ist, steckt in
Fragmentropys Subtexten. Die Idee ist, mit nur ein paar Silben ganze
Denkuniversen vor Augen des Lesers zu öffnen: Ich sage "Romeo", und
alle sehen Balkone, Nachtigallen, verliebte Hitzköpfe und Gift... und warten
vielleicht auf Gwyneth Paltrow... und empfinden den Sprung zu Ibsens
"Nora" als genau so brutal, wie ich ihn als Beschreibung der
Allostase der Beziehung im Kopf hatte. Zwei Namen, und ganze Assoziationsarmeen
prallen aufeinander... Ich hatte die Hoffnung, dass man jedesmal, wenn man
wieder mal zu Fragmentropy zurückkommt, vielleicht an einer Stelle mehr in
dieses Geflecht von Anspielungen eintaucht, wenn man sich denn die Mühe machen
will, mir zu folgen. So geht es mir jedenfalls, wenn ich meiner Tochter wieder
mal einen Asterix-Band vorlese... Ich folge den beiden Autoren in ihre
persönliche Sicht auf die Welt, indem ich immer mehr Witze verstehe. Die Musik
spiegelt die Lyrics eigentlich nur wieder. Sie arbeitet zusätzlich halt in der
motivischen Gestaltung kontrapunktisch, erinnernd, verfremdend - ich mag das
Konzept von Leitmotiven sehr –, aber im Grunde geht es um die Lyrics. Mir
jedenfalls. Ist eigentlich aber auch egal.
Post-Einstein-Physik, Spieltheorie,
Systemtheorie... du scheinst irgendwie noch zu viel Zeit zu haben...
Zeit ist eben nicht so sehr der Punkt wie, was du aus der
Zeit machst. Ich bin echt ein Getriebener, will immer Neues wissen und fühlen
und ahnen und spüren... Wir reden hier davon, was ich im Auto höre oder im Bett
lese oder mit meinen Schülern erforsche. Wenn du z.B. ernsthaft über
Globalisierung sprechen willst (und das ist ein Thema des
Oberstufenunterrichtes in Englisch), kommst du weder an einer systemischen noch
an einer spieltheoretischen Sichtweise vorbei. Und wenn man etwas so
runterbrechen können will, dass es im Schulkontext verständlich und nutzbar
ist, muss man es wirklich durchdrungen haben – denn Schüler sind neugierig und
klug, und es kommt immer, wirklich IMMER, die eine Frage, die dann in tiefste
Tiefen führt... Und darüber sollte man sich dann freuen können und nicht ins
Schwitzen geraten. Jedenfalls ist das mein Verständnis von dem, was ein Lehrer
mit Schülern machen sollte. Bildung ist eine Haltung, kein Zustand.
Was das Inhaltiche angeht: Ich wollte eine Tragödie
"auf Musik" schreiben. Irgendwann wurde mir klar, dass man das in Fachkreisen
schon kennt und seit einiger Zeit "Oper" nennt, was meinen eigenen
Ansatz etwas weniger revolutionär und glamourös erscheinen ließ... Aber sowas
in der Art ist Fragmentropy, nur deutlich mehr von der Literatur geprägt. Es
gibt drei Kapitel (so genannt, weil ich von der Theater / Skript-Form her
denke), in denen eine Liebesgeschichte entwickelt wird - in Versen, nicht in
Prosa. Stell dir vor, Ted Hughes hätte Cormac McCarthy "Romeo und
Julia" diktiert und dann Paul Auster und E.E. Cummings als Lektoren
engagiert. Und zieh ein bisschen von deren Genius ab. So ungefähr.
Du hast nach dem
letzten Album vereinzelt – wieder – live gespielt. Hat das deine Arbeits- /
Herangehensweise geändert?
Ja und nein. Ziel war es, minimalistischer zu werden,
klarer in den Arrangements. Das ist an manchen Stellen auch noch zu hören, aber
wenn ich an die Choraufnahmen (sich selbst 40 mal dasselbe singend übereinander
zu layern, ist sicher eine für Psychiater interessante Tätigkeit) denke, ist
Minimalismus nicht mehr ganz das richtige Wort... In "The Black of
White" hab ich richtig die Sau rausgelassen und 240 Spuren vollgespielt.
Das ist nicht unbedingt mit dem Live-Konzept "2 Hände, 1 Stimme, 0
Samples" in einen Topf zu werfen. Sollte aber eigentlich in die Richtung
gehen. Tja. Entropie...
Planst Du weitere
Auftritte?
Ich bin offen für alles. Wenn Mike Oldfield z.B. mal Lust
hätte, seiner Band mein Zeugs beizubringen: Bitte. Ich selbst mache lieber das
nächste Album und experimentiere mit dem melodischen Skelett der Stücke für
Livekonzepte. Das ist sehr spannend - und übrigens auch live schon deswegen
toll, weil der Soundcheck normalerweise zwischen 8 und 12 Sekunden dauert.
Hattest Du nicht
sogar mal von Konzerten gesprochen, die du nicht nur alleine spielst?
Aus den Live-Auftritten, bei denen mich Dominik
Hüttermann immer für ca. die Hälfte des Programms unterstützt, wenn ich an die
Gitarre oder den Bass gehe, ist aber die Idee entstanden, unser altes Projekt
"Clouds Can" wieder aufleben zu lassen. Wir arbeiten hinter den
Kulissen und hinter sehr dicken Wänden an etwas, das wir als "Progressive
Pop" verstehen. Ich bin guter Dinge, dass daraus ein richtig gutes Album
voller kurzer, luftiger Tracks wird. Man höre und staune!
Clouds Can? Wann
war das? Gab‘s da schon mal was?
1997-2000. Von Clouds Can gibt es zwei Sammlungen mit
Stücken, die z.T. schon bei T verbraten sind. Ich habe damals den Großteil
geschrieben und fand sie zu schade in der Schublade. Dinge wie “Mother”,
“Forget me now” oder “Do not come back” stammen aus dieser Zeit. Dominik
und ich haben damals an der Realisierung gearbeitet, aber geschrieben habe
größtenteils ich den Kram. Das wird dieses Mal aber anders, ein echtes
Gemeinschaftsprojekt.
Apropos Vorgängerbands: Was ist
eigentlich mit Scythe passiert?
Scythe pausiert noch. Wenn Udo Gerhards endlich mal das
die Musik neu definierende Album schreibt, das ich von ihm erwarte, und dann
berühmt ist, machen wir ne Reunion und kaufen uns gegenseitig Yachten, die wir
auf den Eifler Maaren parken. Jedenfalls ist das mein Plan. Wie Udo das sieht,
weiß ich gar nicht so genau...
Beim letzten Album
war es schon auffällig, die Solo-Piano-Konzerte passten dann auch und jetzt
ist‘s unvermeidlich: Der „h“-Vergleich. Kannst Du den nachvollziehen?
Och, ich finde gar nicht, dass die Stimmen so ähnlich
sind. Oder die Musik. Oder, wenn man es genau nimmt, die Buchstaben. Ich habe
den allerhöchsten Respekt vor Steve Hogarth als Sänger und werde immer ein
bisschen rot, wenn jemand uns vergleicht.
Wenn ich es darauf angelegt hätte, wäre mir das sicher
peinlich, schon allein weil es mich dann als Copycat entlarven würde. Aber das
"t" ist aus meiner Faulheit, die 1001 täglichen Emails an progrock-dt
ordentlich zu unterzeichnen, hängen geblieben. Irgendwann war ich in dieser Community
dann bekannt als "t". Und 2001 war ich naiv genug, das für das erste
Soloalbum zu übernehmen. Überhaupt, dieses Solodings habe ich überhaupt nicht
ernst genommen - ich wollte nur dieses Computerdings zur Produktion mal richtig
lernen... Und jetzt ist es halt so, die Telekom hat nicht geklagt - das wars.
Aber ein Vergleich mit Marillion? Fragmentropy und Sounds That Can't Be Made
haben nun wirklich gar nichts miteinander zu tun, es sei denn, man guckt von
außen auf das Genre. Insofern: Schultern zucken, lächeln, weiter Musik machen.
Das erste Stück fürs nächste Album ist jetzt schon wieder 8 Minuten lang, und
da ist bisher ne Dominantparallele als letzter Akkord...
Eine was?
Dominantparallele??!!
Ein Akkord, auf dem ein Stück normalerweise nicht endet.