Ralf-Koch.de§ Doors Down Setlist Bremen

Rock-, Pop- und Szene-News und mehr....

  • Startseite
  • Friebo
  • Radio Jade
  • Oldenburg 1
  • Neue CDs
  • Interviews
  • Zur Person
  • Links





 

Marillion: Stellen sich die großen Fragen

Bremen. Es scheint, sie hätten mal wieder ins Schwarze getroffen: Mit ihrem aktuellen Album „F*** Everyone And Run (F E A R)” erreichten die Briten die höchsten Chartplatzierungen. In Deutschland kletterte das 18. Studioalbum – und das 14. mit Sänger Steve Hogarth erstmals seit 25 Jahren in die TOP 10. Neben einer gelungenen Mischung aus den klassischen Bandsounds und modernen New Artrock-Elementen ist FEAR auch ein politisches Album, erklärte uns Steve Hogarth vor ihrem Konzert am Samstag, 22. Juli 2017 im Musical Theater, Bremen. 

Interview 2017. Zu weiteren Interviews mit Steve Hogarth und Marillion geht es hier entlang

2010,    2007:     2003 -      2004 -    2002 -    1999 -   1998 -    1997 - 

 

Was machst du gerade?

Ich genieße die Sonne – die wir erstaunlicherweise relativ viel hatten dieses Jahr hier in England.

 

Ach da war er… bei uns warten wir noch darauf… aber ihr könnt sie mitbringen, wenn ihr kommt!

Ja, am Sonntag geht’s los, Loreley, dann Hamburg, Berlin, Bremen…

 

Seit Langem auch mal wieder in Bremen!

Das stimmt, ist ein paar Jahre her, aber ich erinnere mich noch gut daran. Wir hatten einen Tag frei und etwas Zeit. Und das Aladin war ein spannender Platz und der Gig war sehr gut.

 

Und am Wochenende seid ihr auf der Loreley!

Toller Ort, guter Sound, nur war es beim letzten Mal so unmöglich heiß…

 

Wenn ihr da seid, kuckst du dir andere Bands an?

Manchmal… ich bin nicht so verrückt nach Progressivrock. Was ich gesehen habe an Bands, die am Sonntag spielen, sind ein paar Namen, die interessant sein könnten.

 

Welche anderen interessante Bands hast du zuletzt kennengelernt?

Die letzte Band, die ich gut fand, waren The Maccabees und eine Band, die mit uns gespielt haben, I Am The Morning. Gleb Kolyadin ist ein brillanter Keyboardspieler. Und es kann auch sein, dass ich auf seinem Soloalbum mitspielen werde…

Aber ich habe nicht das Verlangen, viel Musik zu hören. Manchmal läuft Radio, aber das halte ich nicht lange aus. Wenn ich Musik höre, erkenne ich meistens sehr schnell wie es aufgebaut ist, worauf es hinausläuft, es reizt mich nichts. Das ist wie bei einem Zauberer, der einem anderen zuschaut – er kennt die Tricks – vielleicht bin ich in dem Alter, in dem ich alles gehört habe. Das einzige, was mich fasziniert, ist DubReaggae, weil ich es nicht verstehe. Das ist so anders als Rock`n`Roll, da sind Elemente, die mich reizen.

 

Das ist hart. Ich dachte schon dass Musikkritiker viel zu analytisch Musik hören, um sie genießen zu können, aber dass es Musikern selbst auch so geht, war mir neu.

Das hat eher mit meinem Alter zu tun. Ich bin 61. Ich will ja nicht sagen, dass ich alles gehört habe, aber ich weiß wo es herkommt.

 

Das dürfte es auch schwer machen, selbst Neues zu kreieren, oder? Um endlich den Bogen zurück zu Marillion zu ziehen…

Ja, das macht es sehr schwer. Deswegen dauert es auch immer länger, neue Songs zu schreiben. Wir jammen wochen- und monatelang und versuchen dann Elemente zu finden, die es wert sind, daran weiterzuarbeiten. Und das kommt immer wieder vor. plötzlich hört man etwas, von dem man denkt, ja, das ist neu.

 

Ist euch das geklungen beim neuen Album?

Wir versuchen es immer wieder. Wir wollen dieses Patchwork aus „happy accidents“ zusammenfügen, aus den Arbeiten von Wochen und Monaten, oder wie in diesem Fall Jahren. Und diese Unfälle so zu arrangieren, dass sie einen Fluss ergeben, und dann auch noch mit Texten zu versehen, sie Sinn machen, das ist die Herausforderung. Das ist das Gegenteil von jemandem, der eine Idee hat und morgens damit reinkommt – bei uns hat die keiner. Wir bauen musikalische Unfälle. Und unser Produzent, Mike Hunter ist der Mann, der uns dann dabei hilft, daraus ein Album zu machen. Sein Anteil ist nicht zu unterschätzen, er ist so etwas wie das sechste Bandmitglied.

 

Worauf bist du beim neuen Album besonders stolz? Wie nennst Du es eigentlich, wenn du drüber sprichst? Fuck everyone and run oder Fear?

Ist der ganze Titel zu lang? Ich schaffe ihn in weniger als einer Sekunde. Aber ich mag die Tatsache, dass Fear das Akronym der Anfangsbuchstaben ist, weil es eh das grundlegende Thema des Albums ist.

 

Kommt der Titel von da?

Er kommt von einem holländischen Arzt, zu dem ich ein paarmal gegangen bin. Fuck everyone and run war sein Kommentar zu unserer Gesellschaft und der Art, wie die Gesellschaft mittlerweile tickt. Es gibt zwei Basisemotionen, Liebe und Angst. Alles Gute kommt von der Liebe, alles schlecht von der Angst. Gewalt, Selektion, Ego. Die schönen Dinge haben dagegen mit Liebe zu tun – und entweder handelst du danach, oder du begibst dich in die Opferrolle – misstraust deinem Nächsten, killst ihn, bevor er dich killt. Es gibt diesen Witz: Ich habe gehört, jeder zehnte ist ein Mörder. Ich arbeitete mit meinem Freund an den Klippen neulich, da hab ich ihn lieber runtergestoßen, falls er es ist. Das ist unsere Art britischen Humors.

Aber in der Tat gibt es Länder in dieser Welt, in denen Menschen ständig in Angst leben müssen – und das führt nirgendwo hin, als in gegenseitiges Misstrauen und Chaos.

 

Ist FEAR ein politisches Album?

Ja. Wahrscheinlich das politischste Album, das ich je gemacht habe. Es hatte zunächst am meisten mit der Irakkrise zu tun und wie Tony Blair das Land in einen Krieg gezogen hat auf Basis einer Lüge – was mir von Anfang an klar war, aber die meisten britischen Medien haben das offensichtlich nicht geschnallt. Und wenn man erst einmal das Vertrauen in die Medien verloren hat, hat man ein Problem, denn man hat keine Informationsquelle mehr, der man vertrauen kann. Auch darum geht es auf dem Album. Die Peinlichkeit, wie mein Land auf diese Krise reagiert hat, ist dieselbe wie die Peinlichkeit, wie sie auf die Flüchtlingskrise reagiert hat. Wir haben einfach nicht reagiert, wir haben die Grenze zugemacht. Jetzt kommt noch der Brexit, was die Flüchtlinge nicht abhalten wird, wie viele wahrscheinlich meinten. Wir haben die Waffen auf unsere eigenen Füße gerichtet und wir werden uns die Zehen abschießen, was nicht sehr hilfreich wird. Wir leben in seltsamen Zeiten, und darum geht es auf diesem Album. Und das wollen wir damit ausdrücken. Der Job ist simpel. Wir nutzen das großartige Privileg, dass wir sowohl eine Plattform als auch ein Publikum haben, um die Leute zu ermutigen, in den Spiegel zu schauen und sich die großen Fragen zu stellen – indem wir genau das selbst tun.

 

Obwohl das Album vor dem Brexit entstanden ist, oder?

Ja, die Texte sind vorher entstanden, aber wenn man sie jetzt hört, könnten sie auch eine Reaktion sein… - die Textzeile „We are the Leavers“ geht mir immerhin schon seit ein paar Jahren durch den Kopf. Spooky…

 

Künstler müssen doch auch Visionäre sein, oder?

Künstler müssen Glück haben! (lacht). Mehr als alles andere.

 

Also, um darauf zurückzukommen – worauf bist du am meisten stolz auf dem neuen Album. Gibt es da etwas, was ihr so noch nicht gemacht habt?

„The Leavers“ ist auf jeden Fall ein solches Stück, das anders ist. Und ich bin stolz auf die Texte.

 

Die Tournee ist immer noch die Tour zu Album, oder?

Ja, und in der Tat ist es in Deutschland auch die erste Tour dazu. Das letzte Mal waren wir hier im letzten Sommer, und da haben wir nur einen Song davon gespielt. Also werden wir das Album dieses Mal komplett spielen. Es ist auch immer noch so frisch und neu für uns, dass es sich gut anfühlt. Wir hatten noch keine Zeit, um davon gelangweilt zu werden.

 

Es hat also nichts mit der neuen „Misplaced“ Box zu tun?

Nein. Das ist eine reine EMI/Warner-Idee, um mal wieder einen Goldbarren zur Band zu bringen.

 

Wart ihr involviert?

Ja, weil wir uns gesagt haben, dass es besser ist, wenn wir uns einbringen, als dass die es allein machen – denn letztendlich müsse wir natürlich dafür sorgen, dass es für unsere Fans so gut wird, wie möglich. Die Band ist auch gerade im Studio um die zu unterschreiben… womit ich natürlich nichts zu tun habe, weil ich nicht der Sänger war. Leute kommen immer wieder und wollen, dass ich die unterschreibe, aber dann könnte ich auch ein Kinks-Album oder The Who-Album unterschreiben.

 

Also mixt ihr das mit anderen Songs? Oder Konzeptalbum-like zusammenhängend?

Ja, es hat diesen Fluss, dass es sich anfühlt wie ein Konzeptalbum – was es nicht notwendigerweise ist.