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Die New Yorker sind
zurück mit dem neuen Album „Systematic Chaos“, das erneut den Ausnahmestatus
der Band unterstreicht. Mit neuer Plattenfirma im Rücken stehen sie am Anfang
eines ereignisreichen Jahres, das sie gleich nach der Veröffentlichung der CD
auf deutschen Boden führte für ein paar Shows, in denen sie ihr „Chaos mit
System“ live vorstellten. Zeitpunkt-Redakteur Ralf Koch nutze die Chance, um
mit einem der Hauptprotagonisten der Band, Schlagzeuger Mike Portnoy über das
Album, die Einstellung der Band und die aktuellen Pläne zu sprechen.
Glückwunsch zum neuen
Album, es scheint Ihr kennt keine Schwächephase, oder?
Nun, seit wir 1999 volle Kontrolle über unsere Produkte
wieder gewonnen haben, arbeiten wir im Prinzip an den Alben, bis wir wirklich
zufrieden sind. Bei „Falling into Infinity“ waren wir ein bisschen in einer
Kompromisssituation, aber seit dem das geklärt ist, sehen wir einfach zu, an
dem Album zu arbeiten, bis wir alle glücklich sind – und erst dann geben wir es
der Plattenfirma.
Das heißt, Ihr
diktiert Euch selbst auch keine Deadlines?
Wir geben uns erst einmal viel Zeit, und erst wenn wir an
einem bestimmten Punkt angelangt sind, an dem wir absehen können, dass wir
voran kommen, sprechen wir mit den entsprechenden Leuten, und auch erst dann,
dürfen bestimmte Ankündigungen gemacht werden. Wie gesagt, deswegen ist es
wichtig, volle Kontrolle zu behalten. So können wir in unserem eigenen Tempo
arbeiten.
Die Faszination
beginnt ja schon mit dem Cover – und dem Titel „Systematic Chaos“ – eine klare
Referenz an Eure Musik, oder?
Klar, es gibt eben diesen Kontrast in unserer Musik. Diese
wirklich verrückten Instrumentalparts, die für normale Ohren schon mal sehr
intensiv und chaotisch erscheinen, aber für uns ist das sehr methodisch, also
ist der Titel schon eine sehr gute Definition der Musik von Dream Theater.
Ihr nennt jedes neue
Album gerne eine Reaktion auf den Vorgänger – was hat sich also geändert Deiner
Meinung nach?
Nun, „Octavarium“ hatte eine durchaus poppige Seite mit den
kürzeren Songs, die teilweise sehr eingängig waren – was auch wieder eine
Reaktion auf den eher harten Vorgänger war – und dieses Mal wollten wir keine
fröhlichen, poppigen Songs, sondern eine eher dunkle und aggressive Stimmung.
Was natürlich nicht heißt, dass es nicht auch ruhige und progressive Momente
gibt, aber auch die sind dieses Mal sehr dunkel und mächtig.
Ich nehme an, der
Deal mit Roadrunner hatte keinen Einfluss darauf?
Nein, wir hatten uns nicht einmal entschieden, welchen Deal
wir nehmen würden, bevor das Album fast fertig war. Dass es jetzt Sachen wie
die erste Single, „Constant Motion“ oder „Dark Eternal Night“ gibt, passt
natürlich wunderbar ins allgemeine Bild von Roadrunner. Aber wenn man kuckt, in
welche Richtungen die in den letzten Jahren ihr Repertoire erweitert haben,
hätten wir auch mit jedem poppigeren Album dahin gepasst, schließlich haben die
ja mit Nickelback oder Stone Sour echte Chartsthemen in ihren Reihen.
Und Roadrunner steht mehr hinter uns, als Warner oder
Electric jemals, und der Erfolg stellt sich ja jetzt schon ein. Wir sind in die
Top 20 in den USA – das haben wir bislang noch nie geschafft. Tatsache ist,
dass wir mit jedem neuen Album versuchen, neue Fans zu gewinnen – sowie die
alten zu halten – und für dieses Anliegen scheint uns Roadrunner der richtige
Partner. Das heißt aber nicht, dass wir uns beim Songwriting irgendwie
beeinflussen lassen. Wir machen, was wir machen, und wichtig ist, dass das
Label uns versteht. Was sie damit machen, wenn sie das Material in der Hand
haben, erst das ist ihre Sache dann.
Interessant ist
einmal mehr die Bandbreite des Albums – würdest du sagen, dass es einen
charakteristischen Song für das Album gibt?
Ehrlich gesagt, nein. Jeder Song repräsentiert eine Seite
der Band, und man muss schon das ganze Album hören, um das Gesamtbild zu
bekommen. Ich meine, da ist „Dark Eternal Night“, der klingt wie Pantera, und
direkt danach folgt „Depentance“, der wie Pink Floyd klingt. Abgesehen von
unseren 20-Minuten-Stücken wie „Octavarium“ oder auf dem neuen Album „Presence
of Enemies“, wo es in der Regel die komplette Bandbreite gibt, gibt es kaum
einen repräsentativen Song von Dream Theater.
Hier und da gibt es
ein paar deutliche Referenzen…
Wir hatten noch nie ein Problem damit, unsere Lieblingsbands
zu nennen, jeder weiß das. Und es ist auch ok, Einflüsse zu haben, die einen in
neuer Richtung inspirieren aber wenn es darum geht, unser eigenes Album
einzuspielen, ist das Endergebnis immer noch klar Dream Theater. Klar gibt es Vergleichsmöglichkeiten,
und unsere Fans scheuen sich auch nicht, uns darauf hinzuweisen, dass wir hier
nach Opeth, da nach Muse oder Pink Floyd klingen, aber wir geben das auch gerne
zu, weil ich immer noch denke, dass es nach uns klingt, nach Dream Theater, die
verschiedene Sachen machen.
Warum habt ihr
„Presence of Enemies“ in zwei Teile unterteilt?
Der Song wurde als einer komponiert, aber als ich über die
Songreihenfolge nachdachte, kam mir die Idee dazu. Als Opener wären die 25
Minuten vielleicht etwas viel gewesen und als Schlussstück hätten wir
wiederholt, was wir auf „Octavarium“ gemacht haben, also haben wir ihn
zweigeteilt – und jetzt eröffnet UND beschließt der Song das Album.
„Depentance“ ist ein
Song, der zu einer Serie von Songs gehört, kannst Du darüber etwas sagen?
Angefangen habe ich damit auf „Six Degrees“, „Depentance“
ist der vierte Teil von fünf Songs, die einen roten Faden haben – musikalisch
wie auch textlich. Ein großes Puzzle, das wir begonnen haben, und das einen
sehr persönlichen Teil meines Lebens beschreibt, nämlich die 12 Stufen der
Genesung: Ich bin seit sieben Jahren clean, und diese Songs beschreiben den Weg
dahin. „Depentance“ beinhaltet die Schritte 8 und 9 und auf dem nächsten Album
gibt es dann 10 bis 12 und dann spielen wir das ganze als ein Stück. Schon das
Schreiben der Songs ist unglaublich therapeutisch, weil ich diese 12 Schritte
ja selbst durchlebe und sie damit für mich selbst festige. Das ganze wird am
Ende der 60-Minuten Soundtrack einer Heilung.
Obwohl Ihr immer
wieder auch poppigere Platten hattet wurden Eure Live-Shows eher immer härter,
oder?
Ja, ich denke, die Heavy-Seite kommt live auf jeden Fall
mehr zu Tragen. Ich meine, letzten Endes sind wir eine Metal-Band, wenn auch
eine mit vielen verschiedenen Seiten. Das versuchen wir durchaus auch live
darzustellen, aber das „Gesamterlebnis“ bleibt das einer Metal-Show.
Faszinierend ist
dabei immer wieder Euer unglaubliches Zusammenspiel und wie ihr es schafft,
Euch durch all die Breaks und Taktwechsel zu hangeln – wer dirigiert das ganze?
Ich habe ein Signal-Pad, das nur die Musiker und der
Lichtmischer hören können und ich benutze das zum an- und auszählen, für die
Einsätze der Jungs oder um ihre Aufmerksamkeit auf mich zu richten, wenn was
geändert werden muss.
Kaum zu glauben, dass
Du dazu auch noch Zeit hast neben all den Wechseln…
So kennen wir das seit wir Musik machen. Das komplizierte
Spielen ist nicht das Problem. Das nicht-kompliziert Spielen ist viel
anstrengender. Sich zurücknehmen zu müssen, die Sachen atmen zu lassen, das ist
die Herausforderung. Nicht eine Millionen Noten zu spielen, das ist nämlich
einfach. Es fällt uns leichter, 25-Minuten Epics zu schreiben.
Die Sachen etwas mehr
ausgestaltet habt Ihr ja auf Eurem letzten Live-Album „Score“, wo ihr mit einem
kompletten Orchester gespielt habt – eine unglaubliche Szenerie!
Absolut, das war eine magische Nacht. Das war schon ein
Highlight in meiner Kariere!
Die Jungs sind
erstaunlich cool geblieben – angesichts des frenetischen Jubels.
Die haben uns hinterher alle erzählt, was sie für Gänsehaut
hatten. Aber ich glaube, auf der Bühne waren sie einfach zu konzentriert, um
das zeigen zu können. Immerhin war es auch für sie ja auch eine einmalige
Erfahrung, in so einer Rock-Show zu spielen und plötzlich diese direkte
Resonanz eines Rock- und Metal-Publikums zu erleben.
Wie oft habt Ihr
geprobt?
Nur einen Tag. Wir hatten alle vorher die Noten, haben jeder
für sich geprobt, und einen Tag haben wir dann zur gemeinsamen Probe übrig
gelassen.
„Octavarium“ war Euer
aktuelles Album, das sich auch im Set widerspiegelte – habt Ihr hinterher
manchmal gedacht, es wäre auch toll gewesen, diese Chance für ein Best-Of Set
zu nutzen?
Nein, Dream Theater spielen keine Best-Of Shows. Wenn ich
eine Set-List für ein Konzert schreibe, versuche ich nicht, die Hits da rein zu
packen. Ich befriedige eher die Fans, die uns mehrere Male sehen. Und auch bei
Set-List für CD & DVD-Aufnahmen, versuche ich eher, darauf zu achten, dass
sich die Sets unterscheiden. Bei „Score“ ging es also sowohl darum, zu kucken,
welche Songs sich gut mit Orchester machen würden, als auch darum, welche Songs
auf den beiden Vorgänger-DVDs NICHT enthalten waren.
Das heißt, Ihr ändert
auch die Sets während einer Tournee laufend?
Ich schreibe für jede Show eine neue Set-Liste. Und dabei
tauschen wir nicht nur einzelne Songs, ich betreibe auch Nachforschungen. Heute
Abend spielen wir in Berlin, also kucke ich, was wir bei den letzten 2, 3
Tourneen für Sets gespielt haben, damit wir heute Abend eine komplett andere
Show spielen.
Eine Menge Arbeit –
zumal Ihr eine ganze Weile unterwegs sein werdet, oder?
Ja, bis zum Sommer 2008. Die jetzigen Daten im Juni sind
eine Art Warm-Up, danach spielen wir in Amerika und unsere richtige Europa-Tour
ist im September/Oktober/November. Und dann werden wir im kommenden Sommer noch
einmal zurück nach Europa kommen – dazwischen stehen die anderen Kontinente und
eine kleine Pause im Dezember.